Virologe: Bundesligaspiele besser absagen
27. Februar 2020DW: Herr Professor Schmidt-Chanasit, viele Staaten setzen auf Eindämmung des Coronavirus COVID-19 und sagen Sportveranstaltungen ab. In Deutschland finden am Wochenende alle Spiele der Bundesliga ganz normal statt. Ist das fahrlässig oder richtig?
Jonas Schmidt-Chanasit: Fahrlässig würde ich jetzt nicht sagen. Stoppen kann man diesen Ausbruch sowieso nicht mehr. Aber: Wenn man solche Großveranstaltungen absagt, wird das dazu führen, dass sich das Virus nicht so schnell ausbreitet. Das ist also durchaus sinnvoll. Die Frage ist, wo man da anfängt. Natürlich gibt es in Deutschland jetzt noch eine regionale Begrenzung. Insofern wäre vielleicht schon zu überlegen, ob man zumindest in diesen Gebieten die Fußballspiele absagt. Das wäre auf jeden Fall hilfreich.
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Bis zu 80.000 Zuschauer kommen in ein Bundesliga-Stadion. Welche Gefahr bergen solche Veranstaltungen für die Ausbreitung des Virus?
Überall, wo viele Menschen zusammenkommen, steigt das Risiko für die Übertragung. Dort wird geschrien, dort wird angefeuert, und man steht eng zusammen. Das sind genau die Tätigkeiten, die man unterlassen soll. Die Leute fassen sich an, die Leute essen an gemeinsamen Ständen. Das sind alles Risiko-Expositionen, die dann dazu führen, dass sich das Virus schneller verbreiten kann, was wir ja eigentlich verhindern wollen.
Besonders eng geht es auf den Stehplatztribünen zu. In Dortmund etwa stehen 25.000 Menschen auf engstem Raum - wie kann man sich dort überhaupt schützen?
Das ist schwer. Das Beste wäre, nicht hinzugehen und diese Menschenansammlungen zu meiden. Die Gefahr ist eben, dass auch Menschen, die noch nicht erkrankt sind, das Virus übertragen können. Jemand, dem nur ein bisschen die Nase läuft, geht wahrscheinlich trotzdem zum Spiel. Diese Menschen könnten das Virus weitergeben, und viele weitere könnten sich anstecken. Meine Ratschläge sind: Man sollte sich auf keinen Fall die Hände geben, man sollte ein bis anderthalb Meter Abstand halten, man sollte keine Türen oder Klinken anfassen, man sollte sich nicht ins Gesicht fassen. Das alles lässt sich in einem Fußballstadion sehr schlecht umsetzen, auf einer Stehtribüne eigentlich gar nicht.
Wenn man sich im Stadion eigentlich nicht schützen kann, muss man die Spiele dann nicht konsequent absagen?
Ja, genau. Ich halte es für sinnvoll, Großveranstaltungen abzusagen, um den weiteren Ausbruch abzumildern, damit sich das Virus nicht so schnell weiter verbreiten kann. Das gilt auch für die Bundesliga.
Viele halten solche Maßnahmen für überzogen. Wie gefährlich ist das Coronavirus COVID-19 überhaupt verglichen mit einer Grippe?
Das ist schwer einzuschätzen. Das neue Coronavirus kennen wir erst seit einigen Monaten, die Grippe seit Jahrzehnten. Insofern müssen wir die Situation weiter beobachten. Erste Zahlen deuten aber darauf hin, dass die Sterblichkeit bei ein bis zwei Prozent liegt. Das ist schon höher als bei der saisonalen Grippe, wo die Sterblichkeit bei ungefähr 0,2 bis 0,3 Prozent liegt.
Hilft Sport eigentlich bei der Prävention gegen das Virus?
Natürlich, auf jeden Fall. Je gesünder, je sportlicher, je fitter Sie sind, desto weniger anfällig sind Sie auch für schwerwiegende Verläufe. Das heißt nicht, dass Sportler sich nicht infizieren können. Aber je mehr man sich bewegt, desto besser kann man mit so einer Infektion umgehen. Besonders gefährdet sind Menschen mit Vorerkrankungen. Ältere, Übergewichtige, Raucher. Wenn man das alles nicht ist, dann hat man schon eine bessere Chance, das alles gut zu überstehen.
Im Sommer finden die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele in Tokio statt. Sind diese beiden Events nun gefährdet?
Ich denke schon. Wir müssen abwarten, wie sich die Verbreitung des Virus jetzt fortsetzt. Niemand hat eine Kristallkugel. Es gibt viele Faktoren, die wir nicht kennen, die aber einen Einfluss auf diesen Ausbruch haben. Ich denke, es wird nicht so ganz einfach sein, diese Großveranstaltungen durchzuführen.
Professor Jonas Schmidt-Chanasit ist Tropenmediziner und Virologe am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Gemeinsam mit gut 500 Ärzten und Naturwissenschaftlern aus 35 Einrichtungen arbeitet der 40-Jährige auch am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) an neuen Methoden zur Prävention, Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten.
Das Interview führte Joscha Weber.