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Feinstaub verschlimmert COVID-19-Risiko

Miodrag Soric
17. November 2020

Auch bei Patienten ohne Vorerkrankung kann COVID-19 zum Tod führen. Forscher vermuten, dass die Feinstaubbelastung dabei eine wichtige Rolle spielt.

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Thailand Frau mit Atemschutzmaske steht im Smog am Strassenrand in Bangkok
Bild: Colourbox

Schon als sich die Corona-Pandemie im chinesischen Wuhan und später in Teilen Nord-Italiens zum ersten Mal ausbreitete, schauten Wissenschaftler auf die Feinstaubbelastung in diesen Regionen. Die Millionenmetropole Wuhan verfügte über eine große Kohle- und Stahlindustrie, chemische Werke und riesige Kombinate zur Papierherstellung. Entsprechend hoch ist die Luftverschmutzung.

Ähnliches gilt für die Lombardei in Nord-Italien,  ein Epizentrum der Corona-Ausbreitung im Frühjahr 2020. Knapp die Hälfte aller italienischen COVID-19-Opfer starben hier. Ärzte spekulierten, die hohe Todesrate könnte etwas mit der hohen Schadstoffbelastung in diesen Regionen zu tun haben, hervorgerufen durch die Industrie oder die extensiv betriebene Landwirtschaft. Sie wussten schon lange: Schlechte, mit Feinstaub belastete Luft schwächt das Immunsystem und greift die Lungen an.

Umweltgifte greifen das Lungengewebe an

Neueste Forschungen, veröffentlicht im Fachmagazin "Cardiovascular Research",  bestätigen dies jetzt. Danach gibt es eine Korrelation zwischen hoher Feinstaubbelastung und dem erhöhten Risiko, an COVID-19 zu sterben.

Die Wissenschaftler haben berechnet, dass durchschnittlich 15 Prozent der weltweiten Todesfälle durch Corona darauf zurückzuführen sind, dass die Opfer über einen längeren Zeitraum schmutzige Luft einatmeten. Dabei variiert die Zahl von Region zu Region stark: In Europa, so Schätzungen, sind es 19, in Ost-Asien 27, in Nord-Amerika 17, in Brasilien 12 und in Neuseeland nur 1 Prozent. 

Mehr dazu: Meltblown-Verfahren: So entsteht das Corona-Masken-Filtervlies

Infografik Luftverschmutzung Städte weltweit

Kleinste Feinstaubpartikel lösen in der Lunge Entzündungen aus. "Man hat festgestellt, dass bei der Virusinfektion COVID-19 vor allem die Innenschicht der Gefäße betroffen wird, die so genannte Endothelschicht," sagt der Mainzer Universitätsprofessor und Kardiologe Dr. Münzel  im Gespräch mit der Deutschen Welle. Münzel ist Mit-Autor der Studie. 

Genau diese Endothelschicht werde auch vom Feinstaub angegriffen. Ist die Lunge erstmal durch Feinstaub geschädigt, kann sie sich gegen SARS-CoV-2 kaum wehren.

Drei Gefahren: Schlechte Atemluft, Vorerkrankungen und das Virus

"Unsere Schätzungen zeigen die Bedeutung der Luftverschmutzung auf Gesundheitsfaktoren, die sich gegenseitig verschlimmern und so tödliche gesundheitliche Virusinfektionen auslösen können," berichtet Andrea Pozzer, Gruppenleiterin für Athmosphärenchemie am Mainzer Max-Plank-Institut für Chemie, die auch an der Studie beteiligt war. 

Mehr dazu: Luftverschmutzung kostet uns durchschnittlich drei Lebensjahre

Luftverschmutzung und das Corona-Virus seien eine gefährliche Kombination für Blutgefäße und Herz, ergänzt Professor Münzel. Stark betroffen sind Menschen, die bereits an einer Herzerkrankung leiden. Kommt eine COVID-19-Infektion hinzu, drohen schwere Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. "Je kleiner der Feinstaubpartikel, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die Blutbahn erreicht und von dort in das Gefäßsystem aufgenommen wird", erklärt Münzel.

Feinstaub hat viele Quellen

Feinstaub, das sind Kohlenstoffkerne, an deren Oberfläche sich Schadstoffe anlagern, wie zum Beispiel Aluminium, Blei, Nitrat oder Sulfate. Sie schweben in der Luft, kommen zum Beispiel aus Schloten der Industrie. Mal werden sie als Ruß, mal als Sandkörnchen bezeichnet. Sie stammen auch von Reifen oder Bremsbelägen, Plastikteilchen, Pollen oder vom Staub von Baustellen.

Die Landwirtschaft trägt durch Ammoniak-Emissionen, Rückstände aus Düngung oder Abfallbeseitigung stark zur Feinstaubbelastung bei. Stickoxide, die oft aus Dieselmotoren stammen, verstärken die Wirkung von Feinstaub.

Wissenschaftler unterscheiden zwischen verschiedenen Feinstaub-Größen. Es gibt solche, die 100 Mikrometer groß sind, andere nur wenige Nanometer. Besonders gefährlich sind so genannte ultrafeine Feinstaub-Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 Mikrometer bzw. 100 Nanometer. Das entspricht etwa der Größe eines Virus. 

Mehr dazu: Feinstaub, Stickoxide und Co: Die gefährlichsten Luftschadstoffe

Infografik Größe von Feinstaubpartikeln DEUTSCH

Ausgerechnet für diese winzigen gefährlichsten Partikel hat die Europäische Union (EU) keinerlei Grenzwerte festgelegt. Doch selbst andere von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angegebene Grenzwerte halten weder die EU noch andere Staaten ein.

Unterschätzte Gefahr

Die WHO fordert für Feinstaub-Partikel von 2,5 Mikrometern Durchmesser einen Grenzwert von höchstens 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Der von der Europäischen Union empfohlene Grenzwert liegt weit darüber bei 25. "90 Prozent der Menschheit leben praktisch über den von der WHO festgelegten Grenzwerten", sagt Münzel, "wir brauchen Grenzwerte für Feinstaub, die uns von den gesundheitlichen Folgen schützen."

Die Gefahr, die von zu hohen Feinstaubbelastungen ausgeht, werde in der Öffentlichkeit unterschätzt. Durch die Corona-Pandemie seien bislang etwas mehr als eine Million Menschen ums Leben gekommen, mahnt der Mainzer Kardiologe. Wegen der zu hohen Feinstaubbelastung sterben jedoch weltweit fast 9 Millionen Menschen pro Jahr. Ein Umdenken vor allem in der Politik sei erforderlich, fordert der Medizin-Professor.

Mit den Impfstoffen, die jetzt entwickelt werden, könne in absehbarer Zeit zwar das Coronavirus eingedämmt werden. Einen Impfstoff gegen die schlechte Luftqualität gebe es jedoch nicht. 

Mehr dazu: Wo ist Europas Luft am saubersten?