Coronavirus: Israel und die Impfskeptiker
18. Februar 2021Immer dienstags, viele Jahre schon, kamen die Freundinnen zusammen, um das chinesische Brettspiel Ma-Jon zu spielen. Doch dann kam die Corona-Pandemie und fortan saß jede allein zu zuhause - bis jetzt: "Es ist wirklich das erste Mal seit März, dass wir uns treffen. Es ist unglaublich und fühlt sich gut an", sagt Ruth Rogers. Die 88-jährige US-Israelin hat ihre Freundinnen erstmals wieder in ihre Wohnung in Jerusalem einladen können.
Das letzte Jahr über haben sie das Spiel nur virtuell per Computer spielen können. "Es ist gut, dass alle ok sind, und recht gesund das Jahr überstanden haben. Auch wenn es sehr einsam war. Und wir haben nicht vergessen, wie wir aussehen, auch wenn wir alle dringend einen Haarschnitt brauchen", sagt Rogers lachend. Die vier Freundinnen haben es deutlich vermisst, wieder gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. "Ich fühle mich erstmals wieder frei. Mit Menschen direkt sprechen zu können, ist wunderbar", sagt Esther Taragin.
Ruth und ihre Freundinnen, zwischen 84 und 95 Jahre alt, gehörten zu der ersten Gruppe, die in Israel den BioNTech/Pfizer Impfstoff erhalten haben. "Gott sei Dank sind mein Mann und ich gesund geblieben, wir haben beide Impfungen bekommen und sind stolze Besitzer des grünen Passes, auch wenn wir damit noch nirgends hinkönnen", sagt Judy Feld. Der vom Gesundheitsministerium ausgestellte "Grüne Pass" gilt als Impfpass und soll zukünftig auch bestimmte Freiheiten für Geimpfte erlauben.
Debatte über Öffnung des Landes
Während die Impfkampagne weiter geht, lockert die israelische Regierung jetzt nach und nach die Beschränkungen des letzten mehrwöchigen Lockdowns. Das kleine Land mit neun Millionen Einwohnern gilt weltweit als Positiv-Beispiel für die Schnelligkeit beim Impfen und den daraus resultierenden Studien, die die Wirksamkeit des Impfstoffs fast in Echtzeit liefern. Die Infektionsrate blieb dennoch anhaltend hoch - besonders unter den bis zu 60-Jährigen. Erst vergangenes Wochenende begannen die Zahlen langsam zu sinken. Auch die Zahl der kritisch an COVID-19 erkrankten Patienten in Krankenhäusern ist noch hoch.
Die öffentliche Debatte konzentriert sich jetzt auf die Öffnung des Landes und darauf, was die Rechte und Pflichten der Geimpften und derer, die sich noch nicht impfen lassen wollen, sind. Im Februar war die Zahl der täglichen Impfungen leicht zurückgegangen. Im Januar ließen sich an manchen Tagen bis zu 200.000 Menschen impfen. Zwischendurch lag der Wert bei etwa 50 Prozent weniger, so Zahlen des Gesundheitsministeriums.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der die Impfkampagne zum Wahlkampfthema gemacht hat, warnte am Sonntag, dass sich mehr als eine halbe Million Israelis über 50 Jahren noch nicht haben impfen lassen. "Ich erinnere dabei an ein dramatisches Daten-Detail", sagte Netanjahu. "97 Prozent der Todesfälle und 93 Prozent der schweren Fälle befinden sich in dieser Gruppe." Seit Beginn der Pandemie sind über 5400 Israelis an einer COVID-19-Erkrankung gestorben. Im Januar gab es die meisten Todesfälle.
Schnelle Impfkampagne, aber auch Impfskepsis
Insgesamt sind bislang vier Millionen Israelis geimpft worden, davon haben rund 2,6 Millionen beide Impfungen erhalten. Seit Februar kann jeder über 16 Jahren geimpft werden. "Wir versuchen zu sehen, welche Einstellungen die Leute zu dem Impfstoff haben. Es gibt auch eine große Anzahl von Fake News in der Öffentlichkeit", sagt Boaz Lev, Leiter der Impfstoff-Task-Force im israelischen Gesundheitsministerium. "Das bereitet uns Sorgen. Aber es wird noch etwas dauern, bis wir sehen können, wie konform sich die Leute verhalten."
Das Gesundheitsministerium hat zuletzt eine Stabsstelle eingerichtet, um falsche Informationen und Verschwörungsmythen im Internet einzudämmen. Andere Informationskampagnen zielen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel palästinensische Israelis oder ultra-orthodoxe Juden, bei denen die Impfskepsis aus verschiedenen Gründen größer ist.
"Vor kurzem habe ich mit Rabbinern, die Religionsschulen leiten, über den Impfstoff, die Sicherheit und die Wirksamkeit gesprochen. Dabei sprechen wir auch falsche Informationen an, die zu Fragen der Fruchtbarkeit und anderen Themen im Umlauf sind," sagt Lev.
Ein Impfpass für Vorteile?
Aber es gibt auch Impfskeptiker unter jüngeren, säkularen Israelis. Michal, Mutter von zwei Kindern, bekommt fast täglich eine Einladung zur Impfung per SMS von ihrer Krankenkasse. "Ich finde, es sollte eine persönliche Entscheidung sein. Ich bin froh, dass es die Impfung gibt", sagt Michal. "Aber ich glaube nicht, dass es für mich nötig ist. Ich bin 41, jung und gesund." Sie habe einfach eine andere Einstellung zu Medizin und lehnt jegliche Verschwörungsmythen strikt ab. Ihre Familie und Freunde, die alle geimpft sind, sind nicht glücklich mit ihrer Entscheidung. "Es fühlt sich momentan so an, dass es von überall her Druck gibt, sich impfen zu lassen", sagt Michal, die aber nicht ausschließt, sich in naher Zukunft doch noch impfen zu lassen.
Vieles wird davon abhängen, wie die Regierung und auch die Krankenkassen weiter vorgehen. Ab Sonntag sollen Museen, Einkaufszentren, Büchereien und Läden wieder geöffnet werden - für alle. Dagegen sollen Fitnessclubs, Schwimmbäder, Kultur- und Sportveranstaltungen demnach nur noch für Inhaber des "Grünen Passes" zugänglich sein.
Auch internationale Reisen könnten von dem Impfpass abhängen. Momentan ist Israels Ben-Gurion-Flughafen allerdings noch geschlossen - bis auf wenige Rückholflüge für israelische Staatsbürger. Medienberichten zufolge prüft die Regierung auch, ob es möglich ist, bestimmte Berufe - wie zum Beispiele Lehrer oder Busfahrer - rechtlich dazu zu verpflichten, sich impfen oder sich alle 48 Stunden auf das Virus testen zu lassen. Im Moment aber appelliert man offiziell eher an die allgemeine Solidarität, wie etwa Gesundheitsminister Yuli Edelstein in einem Tweet: "Du musst entscheiden, ob Du dabei sein willst oder alleine zurückbleibst."