Warum sind die Todesraten so unterschiedlich?
26. März 2020Die Zahl der Toten durch das Coronavirus in Deutschland ist vergleichsweise gering, gemessen an der Zahl der nachgewiesenen Infektionsfälle. Diese sogenannte Fallsterblichkeitsrate ist in Italien noch immer extrem hoch, verglichen mit Deutschland. In Deutschland liegt sie zurzeit bei etwa 0,4 Prozent. Nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore lag die Fallsterblichkeit in Italien Anfang der Woche (24. März 2020) dagegen etwa 20 Mal höher.
Einen Grund für diese Diskrepanzen sieht die WHO in den unterschiedlichen Bedingungen, der Altersstruktur, den medizinischen Möglichkeiten und – nicht zuletzt – in der Anzahl der Tests, die durchgeführt werden. Denn, ob die tatsächlich Infizierten auch als solche erkannt und statistisch erfasst werden, hat einen wesentlichen Einfluss auf die letztendlich veröffentlichten Angaben. In einigen Ländern wird sogar bei Toten noch ein Test gemacht, was die Zahlen entsprechend beeinflusst. Die folgenden Faktoren spielen dabei eine Rolle:
Wer wird getestet?
In Italien liege das Durchschnittsalter der nachweislich Infizierten bei 63 Jahren, twitterte der Ökonom Andreas Backhaus. In Deutschland beträgt das durchschnittliche Alter laut Backhaus hingegen nur 45 Jahre.
Das liegt vermutlich daran, dass in Italien viel weniger jüngere Menschen mit mildem Krankheitsverlauf überhaupt auf das Virus getestet wurden als in Deutschland. Folglich können sie auch nicht in der Statistik auftauchen. Das wiederum erhöht die Sterblichkeitsrate, weil nur die Spitze des Eisberges, nämlich die Schwererkrankten überhaupt sichtbar sind.
Zudem ist in Italien vermutlich nicht nur die Dunkelziffer an Infektionsfällen deutlich höher als angenommen, sondern es ist auch eine hohe Dunkelziffer bei den Todesfällen zu beklagen, schreibt der Corriere della Sera.
Südkorea ist genau das Gegenmodell: Dort haben die Behörden deutlich mehr Menschen auf COVID-19 getestet als in den meisten anderen Ländern. In Südkorea ist die errechnete Sterblichkeitsrate äußerst niedrig.
Die Altersstruktur
Auch das Durchschnittsalter der Bevölkerung könnte eine Rolle spielen. Ältere Menschen sind besonders gefährdet, sich mit Corona anzustecken. Häufig haben sie bereits Vorerkrankungen. Das Virus hat bei ihnen leichteres Spiel hat als bei Gesunden, die darüber hinaus jünger sind. Die Abwehrkräfte lassen im Alter nach. Das Immunsystem funktioniert nicht mehr so gut wie in jüngeren Jahren. Ältere Menschen gehören zur Risikogruppe, wenn es um Infektionskrankheiten geht.
Allerdings erklärt das nicht die starken Unterschiede zwischen Deutschland und Italien, denn die Altersstruktur beider Länder ist sehr ähnlich. 2018 betrug das Durchschnittsalter der Deutschen 46 Jahre, das der Italiener 46,3.
Dieser Faktor dürfte eher eine Rolle für die Länder Subsahara-Afrikas spielen, in denen das Durchschnittsalter deutlich niedriger liegt. Das trifft zum Beispiel auf Mali, den Tschad und die Demokratische Republik Kongo zu, wo die Menschen durchschnittlich 16 Jahre jung sind.
Der Zeitpunkt der Epidemie
Der Epidemieverlauf könnte eine weitere mögliche Erklärung für die unterschiedliche Sterblichkeitsrate bieten. In den Ländern, die wesentlich schlimmer von Corona betroffen sind als Deutschland - etwa Italien oder Spanien - war die Epidemie schon früher aufgetreten.
Und weil es einige Zeit von der Infektion bis zu dem Zeitpunkt dauert, an dem ein schwer erkrankter Patient stirbt, steigt die Fallsterblichkeitsrate zum Ende der Epidemie vermutlich noch einmal an.
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Epidemie in Deutschland noch nicht erreicht ist. Das könnte dann vermutlich zu noch höheren Opferzahlen führen.
Die medizinische Versorgung im Verhältnis zur Ausbreitung
Am wichtigsten ist aber die Frage, wie das Gesundheitssystem des Landes auf den jeweiligen Verlauf der Epidemie vorbereitet ist und ob es gelingt, die Kurve der Erkrankungen flach zu halten.
Die Anzahl der Todesfälle lässt sich vor allem durch künstliche Beatmung bei sehr schweren Krankheitsverläufen verringern. Daher ist es entscheidend, ob es genug Betten in Intensivstationen gibt, um allen Notfallpatienten die bestmögliche Versorgung zu geben.
Sind die Gesundheitssysteme durch einen starken Anstieg der Fallzahlen überfordert, lässt sich kaum vermeiden, dass unterversorgte Patienten sterben.
So gibt es bei der Zahl von Intensivbetten in Bezug zur Bevölkerung allein schon zwischen Italien und Deutschland immense Unterschiede: In Italien leben rund 60 Millionen Menschen. Für sie standen zu Anfang der Epidemie etwa 5.000 Intensivbetten zur Verfügung. Deutschland hatte mit einer Einwohnerzahl von rund 80 Millionen etwa 28.000 Betten zur Verfügung. Und diese Zahl soll sobald wie möglich verdoppelt werden.
Weltweit ist die Versorgung mit Intensivbetten also sehr unterschiedlich aufgestellt: Auf 100.000 Einwohner gerechnet gibt es etwa in Deutschland 29, in den USA 34 aber in Italien nur 12 und in Spanien 10.
Bemerkenswert dabei: Südkorea, das durch massenhafte Tests und Isolationsmaßnahmen das Virus sehr erfolgreich eingedämmt hat, kommt bisher mit nur 10,6 Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern aus.
Das liegt vor allem daran, dass es dort durch strikte Quarantänemaßnahmen gelungen ist, die Infektionskurve frühzeitig abzuflachen. Dort gibt es bisher noch weniger als 10.000 Infektionsfälle. Im Vergleich: Italien hat bereits das achtfache und Spanien das sechsfache.
Solange die Pandemie noch andauert, wird es also von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent auch weiterhin starke Differenzen in den Fallzahlen und der Sterblichkeit geben. Frühestens nach Abklingen der Erkrankungswelle wird es möglich sein, einigermaßen zuverlässige Zahlen und Statistiken zu generieren.
Mehr dazu: Epidemie oder Pandemie: Das sind die Unterschiede