Coronavirus: Wie Science-Fiction zur Normalität wird
20. März 2020Zu Weihnachten habe ich einen Kalender mit aufbauenden Sprüchen geschenkt bekommen: Jeden Morgen lese ich seither beim Kaffee eine positive Botschaft. Heute steht in meinem Kalender: "Sei froh, dass du lebst." Und paradoxerweise klingt das im Augenblick nicht ganz so positiv.
Selbstverständlich bin ich froh, dass ich lebe. Bis vor zwei Wochen machte ich mir allerdings noch Pläne für den nächsten Urlaub. Bis vor zwei Wochen gehörten Treffen mit Freunden, Einkaufen und Kinobesuche zur Normalität. Die Corona-Pandemie zeigt uns, was wir theoretisch wissen sollten, nie aber ernstnehmen: Von einem Tag zum anderen kann sich alles ändern.
Wir lernen, alles neu zu denken
Panisch bin ich nicht. Eine mögliche Zwangsstörung - in diesem Fall das Bedürfnis, obsessiv zu putzen - scheint aber gar nicht mehr so weit entfernt zu sein.
Toilettenpapier habe ich nicht in größeren Mengen als sonst gekauft. Ich will sachlich und konsequent bleiben. Und plötzlich sieht der Alltag anders aus. Teils unfreiwillig komisch, teils... na ja. Ich arbeite von zu Hause, gehe sehr selten hinaus - nur für das Nötigste - und habe keine direkten sozialen Kontakte.
Wer hätte gedacht, dass ich jeden einzelnen Artikel aus der Einkaufstasche eines Tages desinfizieren würde, bevor dieser im Kühlschrank landet? Den Rat der Virologen nehme ich ernst, nämlich dass die Schmieransteckung selten ist. Trotzdem, sicher ist sicher, denke ich mir und zwinge auch meinen Mann dazu, die Schuhe außerhalb der Wohnung zu lassen. Türklinken und Böden habe ich auch bisher geputzt. Allerdings nicht so oft wie jetzt und schon gar nicht mit medizinischen Desinfektionsmitteln. Seit ein paar Tagen ist bei uns im Flur eine wahre "Desinfektionsstation" entstanden. Alles, was in die Wohnung kommt, muss da durch. Geschlossene Grenze für Viren. Anderenfalls könnte ich im Detail visualisieren, wie sich die Viren unverschämt und uneingeladen in die Wohnung schleichen. Putzfimmel 2.0. Auch beim Händewaschen habe ich angefangen, zweimal Happy Birthday zu singen, um die empfohlenen 30 Sekunden zum Einseifen einzuhalten. Irgendwie bekloppt, aber das lenkt auch ab. Musikalisch bin ich schon, wem kann das also schaden?
Coronavirus und das Verhalten in Zeiten des Kommunismus
Kürzlich bin ich schnell mit Maske und Handschuhen einkaufen gegangen. Mehrere Menschen haben mich ausgelacht. "Wir reden noch in einer Woche", dachte ich mir dabei. Das waren die gleichen Leute, die noch vor 7 Uhr vor dem Laden Schlange standen, damit sie als Erste noch Hamsterkäufe tätigen können.
Sofort überfielen mich Erinnerungen aus der Zeit des Kommunismus in Rumänien, wo ich aufgewachsen bin. Mein Opa stand schon morgens um 5 Uhr vor dem Laden, um Milch und Brot zu ergattern. Davon gab es wenig und sonst gab es meistens nichts. Sicherlich kann jeder aus dem ehemaligen Ostblock diese Gedanken nachvollziehen. In "meinem" Supermarkt in Berlin war es jetzt nicht viel anders. Die Leute warteten schon vor der Öffnung und die Regale waren halb leer: Anscheinend fand an dem Tag keine neue Lieferung statt. Die Hamsterkäufe sorgen überall für Engpässe.
Vorsichtshalber habe ich mich inzwischen mit einigen Lebens- und Putzmitteln versorgt. Doch Mehl, Pasta, Desinfektionsmittel und - das neuerdings hochwertige - Toilettenpapier sind Raritäten geworden. Auch Online. Hinzu kommt, dass eine Lieferung über zwei Wochen dauert. Die Toilettenpapier-Hysterie verstehe ich immer noch nicht.
Mit Humor in die Ungewissheit
In dieser Zeit telefoniere ich öfter mit Freunden aus verschiedenen europäischen Ländern. Die Situation ist überall mehr oder weniger identisch. Es herrscht Einkaufs-Chaos, aber gleichzeitig eine sträfliche Ignoranz gegenüber den Empfehlungen der Behörden. In Berlin gingen viele junge Menschen noch in die Clubs bis zu deren Schließung, in Frankreich tranken die Gangs noch aus derselben Flasche beim Picknick. Aus diesem Grund haben mehrere Länder eine Ausgangssperre verhängt. Ob das bald in Deutschland so kommen wird? Wahrscheinlich.
Mittlerweile kursieren im Netz mehr Witze als je zuvor. Alle zum Thema Coronavirus. Die Menschheit hat noch Humor. Das ist gut. "Die neue Krypto-Währung ist das Toilettenpapier" oder "Friseur Geschlossen, Nagelstudio geschlossen. Wie werden die Mädels nach der Coronakrise aussehen? Die wahre Apokalypse kommt erst!" kann man in den Sozialen Medien lesen.
Doch ganz so unbekümmert kann man in dieser Zeit nicht bleiben. Wie lange wird all das noch dauern? Wird das Leben, so wie wir es kennen, zur Geschichte? Wenn die Wirtschaft abstürzt, werden wir wie nach dem Krieg leben? Werden wir uns anstecken? Was ist mit den Älteren? Sind die Gesundheitssysteme stark genug für die Coronavirus-Krise? Allen, mit denen ich rede, gehen die gleichen Fragen durch den Kopf. Wir versuchen, den Virologen und Ärzten aufmerksam zuzuhören, und nie auf Fake-News hereinzufallen.
Nur noch Viren haben ein Sozialleben
Seit meiner Schulzeit habe ich mich noch nie so intensiv mit der Biologie der Viren befasst. Mikroskopische Organismen, die fast überall auf unserem Planeten existieren. Sie können Pflanzen, Tiere, Menschen und sogar Bakterien infizieren. Viren bestehen aus genetischem Material, RNA oder DNA, und haben eine Protein-, Lipid- oder Glycoprotein-Hülle.
Viren können sich nicht selbstständig vermehren. Deswegen brauchen sie einen Träger und sind somit Parasiten. Parasiten, die nur dafür leben, um sich zu vermehren. Hässlich! Sofort sehe ich Gargamel vor meinem inneren Auge, den Bösewicht aus der Zeichentrickserie "Die Schlümpfe". Kein Wunder, ich bin damit aufgewachsen. Gargamel ist scheußlich, hasst die Schlümpfe und unternimmt alles, was in seiner Macht steht, um sie zu fangen.
Wissenschaftler haben entdeckt, dass Viren ein reiches Sozialleben haben. Die Miniatur-Parasiten machen sich sogar Pläne, wie sie am besten ihr Opfer befallen. Manchmal gibt es auch richtige Konkurrenzkämpfe zwischen den Viren. Zu diesen Erkenntnissen kamen 1999 die Evolutionär-Biologen Paul Turner von der Yale-Universität in New Haven und Lin Chao von der University of California. Die Bakteriophagen - die Viren also, die Bakterien überfallen - haben ein opportunistisches Verhalten: Wenn es sich lohnt, arbeiten sie zusammen, wenn nicht, kehren sie skrupellos ihren Artgenossen den Rücken.
Science-Fiction gehört ins Kino
Ganz schön schlau, diese mit bloßem Auge nicht sichtbaren Monster. Ungeheuer, gegen die die Menschheit derzeit "Krieg führt", wie neulich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte. Hoffentlich kommen bald unsere Wissenschaftler doch einen Schritt weiter und zeigen es der Corona-Seuche! Hoffentlich ist das alles schnellstmöglich vorbei und das Thema wird nur noch Material für einen Hollywood-Blockbuster. Denn Science-Fiction gehört nur ins Kino. Und der Begrif "viral" soll zurück ins Netz.