CSU feiert Laschet wie einen Rockstar
11. September 2021Der Elefant im Raum ist ein Kanzlerkandidat, den es nicht gegeben hat: Markus Söder. Der CSU-Vorsitzende, der im Ringen um die Kandidatur im Bundestagswahlkampf - jedenfalls in dieser Runde - das Nachsehen hatte, war dem Chef der Schwesterpartei, Armin Laschet, mehrfach rhetorisch in die Parade gefahren. Doch auf diesem Parteitag in Nürnberg stärkt er ihm gut sichtbar den Rücken: "Wir stehen zu 100 Prozent hinter unserem gemeinsamen Kanzlerkandidaten", verkündet der Franke vor den Delegierten. Selbstredend hat jeder im Saal gelesen, wie sein Generalsekretär Markus Blume im Magazin "Spiegel" zitiert worden war: "Natürlich stünden wir mit Markus Söder besser da."
Mit dem historischen Umfragetief im Nacken und einer nur begrenzt belastbaren Solidaritätskundgebung im Rücken, tritt Laschet in Söders Heimatstadt auf die Bühne, um fünfzehn Tage vor dem Wahltermin erneut zu verkünden, dass CDU und CSU das Ruder noch herumreißen und das Rennen gewinnen könnten - und um der Basis zu beweisen, dass er dafür der richtige Wagenlenker sei.
"Brauchst gar keine Rede zu halten"
Schon vor seinen Worten ebbt der Applaus nicht ab. "Brauchst gar keine Rede zu halten", scherzt Söder, der "den Kanzlerkandidaten der gesamten Union, auch der CSU" aufs Podium geleitet hat. Standing Ovations - die Delegierten kennen die Spielregeln der politischen Darbietung vor dem Wahlvolk.
"Wir in Nordrhein-Westfalen waren 50 Jahre in der Opposition und wir haben immer neidvoll auf die CSU geschaut, die seit mehr als 50 Jahren Regierungsverantwortung trägt", sagt Laschet zu Beginn und zeigt sich als höflicher Gast, der weiß, dass Komplimente stets die Stimmung heben. Seine Stimme aber ist angeschlagen; der Wahlkampf fordert Tribut. Immer wieder räuspert sich der 60-Jährige, der mit einem Blick in die Geschichte beginnt.
Vom legendären "Ochsensepp", dem ersten CSU-Vorsitzenden Josef Müller, einem Mann, der 1898 geboren wurde, reicht die historische Spannweite bis zu den Terroranschlägen, die am 11. September 2001, also genau vor 20 Jahren, die westliche Welt erschütterten. Das ist die Brücke zur Forderung nach einer starken europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.
"Weniger Sicherheit für Deutschland"
"Wenn wir wollen, dass unsere Bundeswehr geschützt wird, kann man das nicht nur verbal tun, sondern muss den Soldaten die Ausrüstung geben, die sie brauchen", verlangt Laschet. Bewaffnete Drohnen nennt er als Beispiel - und warnt vor dem bisherigen Koalitionspartner SPD. Deren Kanzlerkandidat Olaf Scholz führe "zu weniger Sicherheit" für Deutschland", behauptet er.
Zwischendurch eine aktuelle Spitze gegen den Konkurrenten: Nach den Durchsuchungen von Staatsanwaltschaft und Polizei vom Donnerstag in den Bundesministerien für Finanzen und für Justiz wegen Ermittlungen gegen die sogenannte Financial Intelligence Unit müsse Scholz sich für seine Reaktion entschuldigen. Er habe Zweifel am Rechtsstaat genährt. Der Finanzminister hatte sich nach den Razzien irritiert gezeigt und erklärt, die Ermittler hätten ihre Fragen "auch schriftlich stellen können".
Und überhaupt die Wirtschafts- und Steuerpolitik: Wenn die Corona-Pandemie überwunden sei, komme es darauf an, Wachstum und Wohlstand nicht durch Steuererhöhungen zu gefährden, wie sie die SPD plane. "Irren ist menschlich, immer irren ist sozialdemokratisch", so Laschet mit einem Bonmot des früheren CSU-Chefs Franz Josef Strauß. Die "Richtungsentscheidung" spitzt er auf die Frage zu: "Können Sie sich vorstellen, den (Olaf Scholz) allein zu lassen mit SPD und Grünen? Ich weiß, was dann herauskommt, dass das ein Angriff auf den Wohlstand ist."
"Niemals mit der AfD reden, koalieren, kooperieren"
Natürlich fehlt nicht die Warnung vor der Linken, die außenpolitisch Nein zur NATO sage, jeden europäischen Einigungsvertrag abgelehnt habe und keine Regierungsverantwortung übernehmen dürfe; ebenso die Warnung mit Blick nach rechts: "Wir werden nie mit der AfD reden, koalieren, kooperieren - klare Kante, die müssen raus aus den Parlamenten", sagt Laschet unter dem Beifall der Delegierten. Olaf Scholz wolle sich dagegen "eine Hintertür" für ein Bündnis mit der Linken offenhalten, die die Union "durch ein gutes Wahlergebnis verschließen" müsse.
In den Umfragen liegen CDU und CSU derzeit allerdings klar hinter der SPD und kommen - je nach Institut - nur auf Werte von 20 bis 25 Prozent. Bis zum Wahltag könnten noch viele unentschlossene Bürger das Blatt wenden. Aber an der Basis ist die Stimmung schlecht; viele schwarze Bundestagsabgeordnete müssen um den Wiedereinzug ins Parlament bangen.
Historische Unschärfe
Da hilft es aus Sicht des Unionskandidaten, das Schreckgespenst eines rot-rot-grünen Bündnisses in allen Farben zu malen, vor allem mit Blick auf die innere Sicherheit, die dann in Gefahr wäre, während "die CSU" imstande sei, "internationale Gipfel zu beherbergen". Laschet erwähnt die von Sicherheitskräften abgeschirmte Konferenz der sieben führenden Industriestaaten des Westens (G7) auf Schloss Elmau 2015.
"Ich glaube, zehn Jahre vorher - irgendwann - sogar ein G7-Gipfel mitten in München", schiebt er hinterher und landet damit einen weiteren historischen Patzer, nachdem er im August die Befreiung einer 1977 entführten Lufthansa-Maschine von Mogadischu nach Landshut verlegt hatte. Zehn Jahre vor ihrem Treffen in Bayern tagten die Industriestaaten - damals noch mit Russland - in Großbritannien. Der G7-Gipfel in München fand 1992 statt. Aber die Zeit vergeht so schnell.
Der Gast aus Düsseldorf spricht über vermeintliche Erfolge seiner CDU-FDP-Regierungskoalition beim Thema innere Sicherheit, etwa bei der Bekämpfung sogenannter Clan-Kriminalität, ehe er zum Kernthema der Grünen - in den Umfragen derzeit auf Platz drei - gelangt: dem Klimawandel. Auch hier erwähnt er Nordrhein-Westfalen, den Strukturwandel in den einstigen Bergbau-Regionen, der gelungen sei. "Bei unseren Wettbewerbern" zeige sich, dass sie nicht zur Industrie, etwa zur Autoindustrie, und deren Arbeitsplätzen stünden. "Manchen geht es nicht um Umweltschutz, sondern um Systemveränderung", ruft er unter Applaus, und das dürfe man nicht zulassen.
Sakko auf, Sakko zu
Am Ende seiner Rede bezieht sich Laschet auf Helmut Kohl, der die Chance einer deutsch-deutschen Wiedervereinigung genutzt habe. "In entscheidenden Momenten muss man Kurs halten", so das Fazit des Kandidaten, der "mit klarem Kurs und klarer Überzeugung" ins Kanzleramt will. Die Delegierten erheben sich von ihren Plätzen und klatschen euphorisch, sie pfeifen und jubeln. Laschet knöpft das Sakko auf, dann kommen Söder und dessen Generalsekretär mit vielen CSU-Politikern und mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak auf die Bühne.
Die Inszenierung scheint im Wesentlichen geglückt, die Bilder stimmen. Laschet knöpft das Sakko wieder zu, spricht jovial mit den Umstehenden, Söder tritt ans Mikrofon, Laschet geht zur Seite, während der Applaus noch anhält, auch Söder klatscht noch einmal mit, während Markus Blume - ebenfalls klatschend - neben Laschet steht und lächelt. Der Gast selbst scherzt immer wieder mit dem einen und anderen in der Runde, wirkt, während die Kameras auf ihn gerichtet sind, fast ein wenig verlegen.
"Wir rocken diese zwei Wochen gemeinsam - alles Gute morgen für das Triell", sagt Hausherr Söder nach acht Minuten Applaus und erwähnt damit die nächste Hürde für Laschet auf dessen Parcours: die Fernsehdiskussion der drei Spitzenkandidaten an diesem Sonntag. Dann folgen die Bayern-Hymne, die der Rheinländer Laschet mitsingt, die Nationalhymne - und die Europahymne. Diese nimmt das Hauptthema aus dem letzten Satz der neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens auf, also eines gebürtigen Bonners: Ode an die Freude. Laschet schaut ernst, Söder schaut ernst. Noch einmal Beifall. Die Delegierten verlassen den Saal.
jj/haz (dpa, afp, phoenix)