"Dahinter steckt der Feind"
17. Januar 2003Die Jahrzehnte alten Spannungen zwischen den beiden größten Religions-Gemeinschaften Indiens drohen einen neuen Höhepunkt zu erreichen. 80 Prozent der Inder sind Hindus. Die Muslime stellen mit 11 Prozent die größte Minderheit.
Ein Blutbad unter Tempelbesuchern, so etwas hat es bisher nur in der Unruhe-Provinz Kaschmir gegeben. Für die Vertreter der größten indischen Partei, der hindu-nationalistischen BJP, ist der Schuldige schnell ausgemacht: Dahinter könne nur "der Feind" stecken, so Innenminister Lal Advani. "Der Feind" - das ist Pakistan.
Keine klare Linie
Ganz so einfach ist es nicht. Die vielen Terror-Anschläge der letzten Monate auf Nicht-Muslime, ob auf Hindus in Kaschmir oder - wie erst am Mittwoch wieder - auf Christen in Pakistan nützen vor allem den radikalen Islamisten vom Schlage der El Kaida. Deren Ziel ist es, die gesamte Region zu destabilisieren - auch und gerade Pakistan.
Berechtigt ist die indische Kritik an Pakistan trotzdem. Denn Präsident Pervez Musharraf hat bei allen verbalen Distanzierungen nach dem 11. September 2001 noch immer keine klare Linie im Umgang mit den Islamisten gefunden. Zwar werden sie auch im eigenen Land immer mehr zum Problem, indem sie Ausländer und Christen attackieren. Aber so lange sie dem Erzfeind Indien Schwierigkeiten bereiten, lassen die pakistanischen Geheimdienste den Terroristen augenscheinlich immer noch freie Hand.
Hausgemachte Probleme
Zunächst einmal ist die aufgeheizte Atmosphäre im westindischen Gujarat aber hausgemacht. Die Terroristen, ob von außen gesteuert oder unterstützt, finden dort einen fruchtbaren Boden für ihre Eskalations-Strategie. Seit Februar herrscht Gewalt zwischen Hindus und Muslimen in Gujarat - mit gut 50 Millionen Einwohnern eine wirtschaftliche Vorzeige-Region und zugleich Hochburg der hindu-nationalistischen BJP, die in Delhi eine Koalitionsregierung anführt.
Präzise geplantes Pogrom
Die BJP ist in den neunziger Jahren mit einer Kampagne für einen Hindu-Tempel in Ayodhya, am Ort einer historischen Moschee, groß geworden. Als im vergangenen Februar fanatische Hindus von einer Pilgerfahrt nach Ayodhya zurück nach Gujarat kamen, steckten aufgebrachte Muslime ihren Zug in Brand. Wochenlang gab es daraufhin Krawalle, Gemetzel und Vergewaltigungen in Gujarat, bei denen mindestens 1000 Menschen, vor allem Muslime, umkamen. Was zunächst wie eine spontane Rache-Welle der Hindus wirken mochte, stellte sich unabhängigen Untersuchungen zufolge später allerdings als präzise geplantes Pogrom an der muslimischen Minderheit heraus. Die Polizei in Gujarat ließ dem fanatischen Hindu-Mob an vielen Orten freien Lauf, in manchen Fällen sollen sich sogar Polizisten an den Ausschreitungen beteiligt haben.
Aus dem Desaster gelernt
Es wäre falsch, nun einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören. Die indische Regierung hat diesmal prompt die Armee nach Gujarat geschickt, um Rache-Aktionen gegen Muslime zu verhindern. Sie hat also aus dem Desaster im Frühjahr gelernt. Und, bei allen Defiziten der Regierung: Indien bleibt eine Demokratie, wo gewisse Korrektive wirken. So hat die nationale Menschenrechtskommission die Regierung im Frühjahr scharf gerügt. Und zum großen Ärger der BJP hat die unabhängige Wahlkommission deren Pläne vereitelt, im Oktober ein neues Landesparlament in Gujarat zu wählen, um dabei von der aktuellen aufgeheizten Atmosphäre zu profitieren.
Frieden gefährdet
Doch so lange die größte indische Partei immer wieder auf die Taktik verfällt, mit Ressentiments und Pogromen gegen Minderheiten auf Stimmenfang zu gehen, ist der Frieden im Land gefährdet. Und damit auch die dringend nötige wirtschaftliche Entwicklung. Wahrscheinlich besteht die größte Hoffnung darin, dass Bevölkerung und Politiker in Indien - genauso wie in Pakistan - erkennen: Religiös begründete Gewalt ist kontraproduktiv für Wirtschaftswachstum und ausländische Investitionen.