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"Bücher können viel verändern"

21. März 2018

Die Autorin Dana Grigorcea unterstützt die Protestbewegung in ihrem Geburtsland Rumänien - auch in ihrer Wahlheimat Zürich und auf der Leipziger Buchmesse. Mit ihrem neuen Buch ist sie ein Risiko eingegangen.

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Dana Grigorcea Gastautorin für "Mein Europa"
Bild: ZDF

DW: Neben Ihrem neuen Buch "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen" haben Sie auch einen großen Karton mit gelben Ansteckern mit der Aufschrift #Rezist zur Leipziger Buchmesse mitgebracht. Das bedeutet auf Rumänisch "Widerstehen" und "Durchhalten", es ist der Hashtag der Protestbewegung in Rumänien. Zehntausende gehen dort auf die Straße, um für eine unabhängige Justiz, für europäische Werte und gegen Korruption zu demonstrieren. Was möchten Sie in diesem Kontext bewirken?        

Ich wollte unbedingt ein Zeichen setzen und zeigen, dass die rumänischen Intellektuellen gegen Korruption sind, gegen korrupte Politiker und Betrügerei. Alle haben nach diesem Anstecker gefragt, auch die gesamte Schweizer Delegation hat ihn getragen - als Symbol der Solidarität mit der Protestbewegung der rumänischen Zivilgesellschaft. Eine solche Aktion erfordert eine gewisse Kühnheit, denn es ist schwer, seinen Protest in einer so feierlichen und friedlichen Atmosphäre wie der Eröffnung einer Buchmesse zu äußern.   

Wie haben die rumänischen Autoren darauf reagiert?

Anstecker mit der Aufschrift REZIST
Dana Grigorcea hat nicht nur Bücher nach Leipzig mitgebracht Bild: Dana Grigorcea

Vor der Buchmesse war ich nicht sicher, ob sie den Anstecker tragen würden. Für Autoren, die in Rumänien leben und schreiben, ist das schwieriger als für mich als Schriftstellerin, die in der Schweiz lebt. Sie haben viel zu verlieren: Wegen einer offen regierungskritischen Haltung könnten sie bestraft werden, zum Beispiel, indem sie nicht mehr zu bestimmten Veranstaltungen eingeladen oder von Stipendien ausgeschlossen werden. Daher dachte ich, dass eine gewisse Angst da sein könnte. Ich war überrascht, wie positiv und enthusiastisch meine rumänischen Schriftstellerkollegen auf die Solidaritätsaktion reagiert haben. Sogar die jungen Leute aus Rumänien, die auf der Leipziger Buchmesse den rumänischen Stand aufgebaut und dort Bücher verkauft haben, wollten sofort Anstecker mit der Aufschrift #Rezist. Am Ende waren alle Buttons schnell weg, viele rumänische Autoren haben sie sich gegenseitig ausgeliehen, um sie bei den wichtigsten Veranstaltungen auf der Buchmesse zu tragen. 

Was kann ein Schriftsteller politisch und gesellschaftlich bewirken - gerade in so bewegten Zeiten wie heute?

Jeder Mensch kann etwas bewirken, egal ob er Schriftsteller ist oder nicht. Bei den letzten Wahlen in Rumänien (Ende 2016) sind 60 Prozent der Wahlberechtigten Zuhause geblieben - und das ist eine Katastrophe. Ich versuche zu verstehen, was sie so apathisch gemacht hat. Wir sollten alle wach bleiben! Schriftsteller und auch alle anderen, die eine öffentliche Bühne haben, tragen eine große Verantwortung für das, was sie kommunizieren. In Rumänien wird zwar wenig gelesen - aktuelle Statistiken weisen darauf hin, dass nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung regelmäßig Bücher kauft - doch die Schriftsteller sind in der Öffentlichkeit sehr präsent, man befragt sie zu politischen Themen. Alle kennen die Autoren, obwohl kaum jemand ihre Bücher gelesen hat. Ich kann es gut nachvollziehen, dass sie den Wunsch verspüren, mehr über ihre Bücher zu sprechen. Durch Bücher kann man sehr viel verändern. Ich mag keine "Zeigefinger-Literatur", die die Leser aufdringlich belehren will. Im Grunde genommen ist Literatur an sich schon politisch, weil sie aus der Sicht des Einzelnen über die Welt reflektiert - und auch das ist Politik. Literatur erzieht zu mehr Empathie, weil wir beim Lesen andere Standpunkte einnehmen und in andere Figuren schlüpfen. Der Versuch, sie zu verstehen, erweitert unseren Horizont: Dadurch macht uns Literatur toleranter.  

Rumänien Proteste in Bukarest
Demonstranten in Bukarest mit einer riesigen EU-Flagge bei Massenprotesten Ende Januar Bild: Getty Images/AFP/D. Mihailescu

Beim Lesen Ihres aktuellen Buches "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen" kann man in zwei sehr unterschiedliche Figuren schlüpfen: Es ist eine Liebesgeschichte in Zürich zwischen Anna, einer wohlhabenden, selbstbewussten Ballerina, und Gürkan, einem kurdischen Migranten aus der Türkei. Die Protagonistin reflektiert sogar darüber, dass sie sich an Gürkans Seite "genieren" würde, wenn die Beziehung der beiden öffentlich wäre, weil die Leute sie nach seiner Herkunft fragen würden "wie nach der Rasse ihres Hündchens". Wieso haben Sie gerade diese Konstellation gewählt?

Früher war klar: Wenn die Liebenden mit jemand anderem verheiratet sind, endet die Geschichte tragisch - wie bei Tolstois "Anna Karenina", die sich am Ende vor Verzweiflung das Leben nimmt. Ich habe mich gefragt, was heute noch eine unmögliche Liebe sein kann. Besonders schwierig ist es in unserer Zeit, mit einem Menschen aus einer ganz anderen Kultur zusammenzukommen, wenn gravierende Missverständnisse entstehen können und man den anderen nicht wirklich kennt. Doch es ist kein Buch über den fremden Exoten, den Kurden aus der Türkei, der alles anders macht, und Anna aus Zürich durch seine Exotik anzieht. Im Gegenteil, sie reflektiert über die Exotik, die eigentlich eine aufgesetzte Faszination ist: Denn so anders ist man im Grunde genommen doch nicht! Über diese Balance habe ich geschrieben: Wie versteht man den Anderen, wie spiegelt man sich in ihm?

Ihr neues Buch ist auch eine Hommage an Tschechows berühmte Novelle "Die Dame mit dem Hündchen", deren Thema Sie aufgreifen. Bei Tschechow ist der Mann der dominante Teil der Liebesbeziehung, er ist sehr erfahren und selbstbewusst, in Ihrem Buch gilt genau das für die Tänzerin Anna. Warum haben Sie die Rollen vertauscht? 

Es gibt auch andere Autoren, die dieses Thema aufgegriffen haben, unter anderem Joyce Carol Oates, und jedes Mal war der Mann der Aktive. Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein wenig aufgesetzt wirken würde: Denn Anna ist gesellschaftlich besser gestellt, sie ist selbstbewusst und kennt als Ballerina alle Gesten des Balztanzes. Für mich war klar: Sie will etwas Neues erfahren, während Gürkan der Naive und Jüngere in der Beziehung ist. Er hat eine sehr feste Vorstellung von Moral und leidet unter schlimmen Schuldgefühlen gegenüber seiner Ehefrau, doch die Ballerina Anna sagt ihm: Die Freiheit befindet sich zwischen den Tanzschritten, da endet die Macht des Choreographen. Zwischen den Regeln ist Freiheit möglich. Sie holt ihn aus seiner Welt heraus, beide bewegen sich aufeinander zu. Es wäre sehr einfach gewesen, alles ironisch zu brechen, mich über die Figuren lustig zu machen, sie wie aufgespießte Insekten zu beobachten, aber das wollte ich nicht: Und genau darin liegt das Risiko, dass ich mit diesem Buch eingegangen bin.      

Dana Grigorcea, Jahrgang 1979, ist eine schweizerisch-rumänische Schriftstellerin. Ihr Roman "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" (2015) wurde mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet. Im Januar ist ihr neues Buch "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen" erschienen - mittlerweile ein Bestseller in der Schweiz. 

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Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe