Asien überwindet Corona-Investitionskrise
21. Juni 2021Vier Prozent Zuwachs: Das Asien-Kapitel im neuesten Bericht der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD kann sich sehen lassen. Insgesamt 535 Milliarden US-Dollar (449 Milliarden Euro) an Ausländischen Direktinvestitionen (FDIs) flossen nach Asien. Besonders China und Indien waren für Investoren im Corona-Krisenjahr offenbar interessant, wie aus dem World Investment Report 2021 hervorgeht.
Der leichte Anstieg ging einher mit einem steilen Fall der FDIs auf globaler Ebene angesichts der stärksten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Rund eine Billion US-Dollar wurde investiert, das entspricht einem Minus von 35 Prozent. Damit lagen die globalen Investitionsströme fast ein Fünftel unter den Werten nach der globalen Finanzkrise 2009.
Besonders dramatisch war der Rückgang der ausländischen Investitionen in Industrienationen - Europa musste einen Rückgang um 80 Prozent hinnehmen. Dank der stabilen Geldflüsse nach Asien schnitt die Gruppe der Schwellenländer besser ab: Sie machten zwei Drittel der globalen FDIs aus - 2019 waren es noch weniger als die Hälfte gewesen.
"Insgesamt bleibt Asien die stärkste Lokomotive der globalen FDIs", sagt Richard Bolwijn, einer der Autoren des Berichts. "Es bleibt attraktiv wegen der hohen Wachstumszahlen, der Verlagerung der Produktionskapazitäten von China in andere Niedriglohnländer der Region und wegen der Aussichten auf weiteres Wachstum bei den regionalen Wertschöpfungsketten."
Indien reitet die Fusionswelle
Beobachtende gehen davon aus, dass Asien in den nächsten Jahrzehnten mehr als die Hälfte des weltweiten Wirtschaftsvolumens ausmacht, wenn sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft weiter von Westen nach Osten verlagert. Die Region könnte laut Asiatischer Entwicklungsbank bis Ende dieses Jahrzehnts mit rund 60 Prozent zum weltweiten Wirtschaftswachstum beitragen, dank seiner stetig wachsenden Mittelschicht.
Das Wachstum bei den FDIs könnte im Coronajahr 2020 jedoch größer wirken, als es in Wahrheit war: Laut Bolwijn spielt in den Wert unter anderem hinein, dass 2019 wegen der Proteste in Hongkong außerordentlich wenig in der chinesischen Sonderverwaltungszone investiert wurde. Klammert man die Ausländischen Direktinvestitionen in Hongkong aus, bleibt für Asien ein Minus von sechs Prozent - doch der Kontinent ist damit immer noch widerstandsfähiger als andere Regionen.
In Indien stiegen die FDIs um 27 Prozent auf 64 Milliarden Dollar, was hauptsächlich auf Funktionen und Unternehmenszukäufe zurückzuführen ist. Im vergangenen Jahr haben global agierende Konzerne, darunter Techgiganten wie Google und Facebook, rund 27 Milliarden Dollar allein in das Unternehmen Reliance Industries gesteckt. Sie wetten darauf, dass der Konzern des indischen Milliardärs Mukesh Ambani ein großer Player in den Bereichen Tech und E-Commerce wird.
Nach China flossen 149 Milliarden US-Dollar an Ausländischen Direktinvestitionen, was einem Plus von sechs Prozent entspricht. Damit wurde der chinesische Erfolg gegen das Coronavirus und eine außerordentliche Erholung der inländischen Wirtschaft vorangetrieben. Im vergangenen Jahr stieg China zum weltgrößten Außeninvestor auf - den Titel hatte in den beiden Vorjahren Japan innegehabt.
Für multinationale Konzerne aus Industriestaaten brachte das Krisenjahr eine drastische Reduzierung ihrer Investitionen im Ausland mit sich - mit 347 Milliarden Dollar gaben sie weniger als halb so viel Geld aus wie im Vorjahr. Es handelt sich insgesamt um den niedrigsten Wert seit 1996. Die Gewinne dieser Unternehmen verringerten sich durchschnittlich um gut ein Drittel, weshalb sie weniger Mittel für Wachstumsinvestitionen übrig hatten. Im Schnitt stammt jeder zweite Dollar in FDIs direkt aus Erlösen der Unternehmen.
Die Ausländischen Direktinvestitionen nach Lateinamerika fielen um 45 Prozent auf 88 Milliarden Dollar und damit so stark wie in keiner Region, die überwiegend den Entwicklungsländern zugerechnet wird. Gleichzeitig brachen die Nachfrage nach Exportgütern, die Preise für Rohstoffe sowie der Tourismus ein.
Rückschlag für Afrika
Angesichts der Krise fand sich Afrika auf dem Niveau von vor 15 Jahren wieder: Die FDIs auf dem Kontinent gingen um 16 Prozent zurück auf rund 40 Milliarden Dollar. Für die Bemühungen afrikanischer Regierungen um stärkere Industrialisierung bedeutet das einen herben Rückschlag. Die gesunkene Nachfrage nach Energie und Rohstoffen machte sich auch in Afrika bemerkbar: Am stärksten äußerte sich der Rückgang der Ausländischen Direktinvestitionen in Ländern mit hoher Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Für Afrika waren ausländische Investitionen, besonders in Neubau von Industrieanlagen und Infrastruktur, von besonderer Bedeutung gewesen. Der Wert solcher Neubauprojekte ging 2020 um zwei Drittel zurück.
Investitionen in Sektoren wie Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und Ernährung, die zum Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN ("Sustainable Development Goals", SDG) besonders wichtig sind, verringerten sich ebenfalls drastisch. Einen Sonderfall stellten erneuerbare Energien dar, die einen Anstieg der ausländischen Investitionen verbuchten.
"Der Rückgang der Investitionen in SDG-Sektoren im vergangenen Jahr ist ein Anlass zur Sorge in allen Entwicklungsländern. Von den Erfolgen, die seit dem Beginn der SDG-Investitionsförderung 2015 erreicht wurden, wurde im vergangenen Jahr viel wieder zunichte gemacht", sagt Bolwijn im DW-Gespräch.
Nach Afrika geht nur ein kleiner Teil der globalen FDIs - für die am wenigsten entwickelten Länder beträgt der Anteil sogar nur zwei Prozent. "Das heißt, es gab schon vorher eine Investitions-Lücke bei den SDGs, und der Rückgang im vergangenen Jahr lässt diese noch weiter aufreißen", sagt Bolwijn. "Wenn man bedenkt, dass viele dieser Investitionen erst nach einiger Zeit ihre volle Wirkung entfalten, dann dürfte es auch dauern, bis die Erholung in Fahrt kommt."
Bescheidene Erholung bei Investitionen
Für dieses Jahr wird immerhin damit gerechnet, dass im vergangenen Jahr verlorener Boden wieder gutgemacht wird: Die globalen FDI-Geldflüsse könnten wieder um zehn bis 15 Prozent steigen. "Die für 2021 prognostizierte recht moderate Erholung der globalen FDIs hängt mit der andauernden Unsicherheit über Zugang zu Impfstoffen, das Aufkommen von Virusmutationen und mit Verzögerungen in der Wiederbelebung der Wirtschaft zusammen", heißt es im UNCTAD-Bericht.
Gleichzeitig dürfte die Erholung in unterschiedlichen Geschwindigkeiten verlaufen, wobei den entwickelten Wirtschaften die Rolle der Zugpferde für ausländische Investionen zukommt. Helfen sollen starke grenzüberschreitende Fusionen sowie öffentliche Investitionen im großen Stil. Während den FDIs nach Asien weiter starke Resilienz zugeschrieben wird, dürften sich die Geldflüsse nach Afrika und Lateinamerika sowie in die Karibik in naher Zukunft nicht so stark erholen. "In diesen Regionen gibt es mehr strukturelle Schwächen, weniger fiskalischen Spielraum und mehr Abhängigkeit von Neugründungs-Investitionen, welche auch 2021 noch auf niedrigem Level verharren dürfte", heißt es in dem Bericht.
Adaptiert aus dem Englischen von David Ehl.