Darfurs unsichere Zukunft
15. Januar 2021Die ersten Truppen sind bereits abgezogen, weitere werden folgen. Seit Beginn dieses Jahres reduzieren die Vereinten Nationen ihre Kräfte in der sudanesischen Krisenregion Darfur. Bis Ende Juni 2021 sollen sämtliche Militär- und Polizeikräfte der UNAMID-Mission die Region verlassen haben. Dann soll die Verantwortung an die sudanesische Regierung gehen. Die hatte um das Ende der 2007 gestarteten Mission gebeten, die auf ihrem Höhepunkt 16.000 Blauhelme umfasste.
Die Mission war eingerichtet worden, nachdem in Darfur 2003 Unruhen ausgebrochen waren, ausgelöst durch Forderungen der dort lebenden Bevölkerung an die Regierung, ihr zum einen mehr Mitsprache und zum anderen wirtschaftliche Unterstützung zuzugestehen.
Auf den Aufstand hatte der damalige Staatspräsident Omar al-Baschir mit aller Härte reagiert. Die ihm verbundenen nomadischen Reiternomaden, die so genannten Dschandschawids, waren verantwortlich für die Zerstörung ganzer Dörfer, für Massaker an der Zivilbevölkerung und für Vergewaltigungen. Über zweieinhalb Millionen Menschen wurden vertrieben. Nach Berechnungen des zum Sudan forschenden Politologen Eric Reeves wurden bis zu 600.000 Menschen während des Konflikts getötet.
Politischer Neubeginn
Politisch ist al-Baschir mittlerweile Geschichte, er wurde im April 2019 in einer Revolution abgesetzt. Wegen der Verbrechen in Darfur will die neue, seit August 2019 amtierende Regierung unter Premier Abdallah Hamdock den ehemaligen Staatschef an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellen. Im Oktober 2020 hatte sie mit den Rebellen in Darfur ein Friedensabkommen unterzeichnet. Mit diesem Schritt will sie sich als verantwortliches Mitglied der internationalen Gemeinschaft präsentieren - diesen Ruf hatte das Land unter der fortgesetzten Gewaltherrschaft al-Baschirs verloren.
Doch auch nach dem Friedensabkommen vom Oktober letzten Jahres kommt es in Darfur immer wieder zu Gewalt, da die bewaffneten Gruppen weiterhin präsent sind.
Neue Unruhen nicht ausgeschlossen
Diese Gewalt könnte nach dem Abzug der UN-Truppen weiter zunehmen, nimmt die Politologin Tanja Müller von der Universität Manchester an. "Viele Personen dürften versuchen, sich in bessere Positionen zu bringen, durchaus auch mit Gewalt", so Müller, die schwerpunktmäßig zur politischen und sozialen Entwicklung des Sudan forscht. Diese Entwicklung sei aber nicht zwangsläufig, denn die UN-Präsenz seit 2007 habe auch eine kulturelle Bedeutung gehabt. "Sie hat den Akteuren abverlangt, sich zivilisierter zu verhalten als sie es ohne die Blauhelmmission womöglich getan hätten."
Zögerliches Militär
Angesichts der anhaltenden Zusammenstöße vor allem im Süden der Region hat die Regierung in Khartoum ihre Absicht erklärt, eigene Soldaten in die Region zu entsenden. Wie effizient deren Einsatz sei, lasse sich derzeit kaum abschätzen, sagt Tanja Müller. So sei offen, ob die Soldaten tatsächlich bereit wären, sich bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Dschandschawids oder anderen irregulären Gruppen zu liefern. "Sie könnten fürchten, den Kürzeren zu ziehen. Denn auch früher waren sie zu effizienten Einsätzen oftmals nicht in der Lage."
Deswegen könnten sie es erneut vorziehen, in ihren Stellungen zu verharren, wenn die Gefahr bewaffneter Attacken aufzieht. "Ich sehe nicht, dass die sudanesische Armee bereit wäre, den Kopf hinzuhalten, wenn es wirklich zu Auseinandersetzungen kommt", so Müller.
Aufbruchstimmung
Ein wenig Optimismus erlaubt hingegen die generelle Entwicklung des Sudan. Nach dem Sturz al-Baschirs einigten sich Zivilisten und Militärs darauf, die Zukunft gemeinsam zu gestalten - ein grundlegender Neuanfang nach der autoritären Regierungsführung al-Baschirs, der sich 1989 an die Macht geputscht hatte und seit 1993 als demokratisch nicht legitimierter Staatspräsident fungierte. Angesichts dieses Eindrucks befürworten weite Teile der sudanesischen Gesellschaft offenbar einen generellen politischen Kurswechsel des Landes in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Der Sudan habe sich verändert, beobachtete im Frühjahr 2020 die Sudan-Expertin Wiebke Hansen vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin. "Gerade in Khartum ist die Aufbruchstimmung und Zuversicht, dass man mit der Verfassungserklärung vom vergangenen August und mit der Bildung einer zivilen Übergangsregierung einen nicht mehr umkehrbaren Weg beschritten hat, deutlich spürbar."
Region unter Waffen
Diese generelle Entwicklung könnte womöglich auch die in Darfur positiv beeinflussen, sagt Tanja Müller. Allerdings gebe es noch immer Gruppen, die sich gewaltsam materielle Vorteile wie etwa Wasserquellen oder Weideland verschaffen könnten. "Diese Gruppen sind weiterhin im Besitz ihrer Waffen und dürften auch nicht zögern, mit ihnen die Entwicklung einer demokratischen, zivilgesellschaftlichen politischen Kultur zu verhindern, wenn dies ihren Interessen zuwiderläuft. Hinzu komme, dass die Grenzen zu den Nachbarländern Tschad und Äthiopien unsicher und kaum zu kontrollieren seien.
"So ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Art Machtprobe zwischen der sudanesischen Polizei und Armee auf der einen und militanten Gruppen auf der anderen Seite kommen könnte", so Politologin Müller. Gerade in den Randgebieten des Sudan sei die Frage der gesellschaftlichen Entwicklung offen - erst recht, wenn die UN-Blauhelme erst einmal vollständig abgezogen sind. "Denn je größer der Abstand zur Hauptstadt, desto weniger greift deren Einfluss."