Das Abc der Wahlen in Taiwan
14. Januar 2016Steht in Taiwan eine Richtungswahl bevor?
Die Wählerinnen und Wähler sind aufgerufen, die Amtszeit des amtierenden Präsidenten Ma Ying-jeou von der Kuomintang-Partei (KMT) zu bewerten und den politischen Kurs für die nächsten vier Jahre zu bestimmen. Die Regierung attestiert sich selbst, dass sie in den vergangenen acht Jahren unter Mas Führung große Fortschritte gemacht habe, was die soziale Sicherung und Gerechtigkeit, die Beziehungen zum Festland und zur internationalen Gemeinschaft angehe.
Doch den jüngsten Umfragen zufolge sehen die Wählerinnen und Wähler das anders. Die regierende KMT war bei den letzten Kommunalwahlen im November 2015 abgestraft worden. Die Opposition, die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), hatte in vier der sechs großen Bezirken gewonnen. Noch bitter war der Sieg eines unabhängen Kandidaten mit Unterstützung der DPP in der Hauptstadt Taipeh.
Die aussichtsreichste Kandidatin für das Präsidialamt 2016 ist Tsai Ing-wen von der DPP. Sollte sie die Wahlen gewinnen, wird Taiwan zum ersten Mal eine Frau als Präsidentin haben. Dem dritten Kandidat, James Song von der Volksnahen Partei, werden kaum Chancen eingeräumt.
Auch ein neues Parlament wird Wahltag gewählt. Welche Funktion hat das Parlament in Taiwan?
Zwar wurde Taiwan zwischen 2000 und 2008 von einem DPP-Präsidenten regiert, aber die KMT hat seit 66 Jahren ununterbrochen die absolute Mehrheit im Parlament. Viele Reformpläne, die die Präsidentschaftskandidaten in ihrem Wahlprogramm festgeschrieben haben, sind ohne Zustimmung des Parlaments, das in Taiwan "Yuan für Gesetzgebung" heißt, nicht möglich.
Derzeit sind sechs Parteien in der 8. Legislaturperiode vertreten, die vier Jahre dauert. Beide große Volksparteien, KMT und DPP, wollen nun verhindern, dass die jeweilige Konkurrenz die absolute Mehrheit im Parlament erhält. Mehrere kleinere Parteien haben dieses Jahr Aussicht auf den Einzug ins Parlament. Sie könnten die "entscheidenden Minderheiten" werden. Im Rennen sind insgesamt 26 Parteien.
Wie sieht Peking die Wahlen in Taiwan?
Peking betrachtet Taiwan als eine "abtrünnige Provinz". In der Vergangenheit hatte die Volksrepublik China sehr scharf auf die Wahlen auf Taiwan reagiert, vor allem, wenn es sich abzeichnete, dass die zur Unabhängigkeit neigende DPP die Wahlen gewinnen könnte. Vor den Wahlen 2000 hatte seinerzeit Chinas Ministerpräsident Zhu Rongji gewarnt: "Wer auch immer in Taiwan die Unabhängigkeit vorantreibt, wird böse enden." Beobachter glauben allerdings, dass die damaligen Drohungen dem chinakritischen DPP-Kandidat Chen Shuibian zum Wahlsieg verholfen hatten.
Aktuell hält sich Peking zurück. Die für Taiwan zuständige Behörde in Peking wiederholt ihre Position: Keine Intervention, kein Kommentar. Allerdings wird allgemein das historische Treffen zwischen Chinas Präsident Xi Jinping und Taiwans Präsident Ma Ying-jeou am 7. November 2015 in Singapur als offener Wahlkampf für die KMT gewertet.
Wie sieht das Wahlsystem in Taiwan aus?
Taiwan hat ein Mehrparteiensystem mit direkten und geheimen Wahlen. Wahlberechtigt sind alle Bürgerinnen und Bürger ab dem 20. Lebensjahr. Eine Wahlpflicht besteht nicht. Briefwahl ist nicht möglich.
113 Sitze im Parlament werden neu besetzt. Davon werden 73 Abgeordnete durch Direktwahl in den Wahlkreisen bestimmt. Sechs Sitze sind für Vertreter der Ureinwohner reserviert. Die restlichen 34 Sitze werden von den Parteien entsprechend ihres Wahlergebnisses über ihre eigene Liste besetzt. Wie in Deutschland gibt es eine Fünf-Prozent-Hürde. 2016 kämpfen 556 Kandidaten und 26 Parteien um den Einzug ins Parlament.
Wie viele Wahlberechtigte dürfen an den Wahlen teilnehmen?
Auf Taiwan leben 23 Millionen Menschen. Wahlberechtigt sind dieses Jahr 18,78 Millionen, das sind 700.000 Wähler mehr als bei den letzten Wahlen. 1,29 Millionen Menschen dürfen zum ersten Mal wählen.
Wie sieht der Stimmzettel für die Parlamentswahlen aus?
Seit der 7. Legislaturperiode 2008 hat jeder Wähler eine Erst- und eine Zweitstimme, wie bei den Bundestagswahlen in Deutschland. Die Erststimme ist für den Direktkandidaten des Wahlkreises, die Zweitstimme für die Partei.
Hinzu kommt dieses Jahr noch den Wahlzettel für den Präsidenten/die Präsidentin, so dass jeder dieses Mal drei Stimmen abgibt.
Wie lange sind die Wahllokale geöffnet? Wann werden die Stimmen gezählt?
Die mehr als 15.000 Wahllokale sind am Samstag, dem 16.1.2016, von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr Ortszeit geöffnet. Sobald die Wahllokale geschlossen sind, werden die Stimmen ausgezählt. Dafür sind 200.000 Freiwillige im Einsatz. Erste Hochrechenungen werden in der Nacht auf Sonntag erwartet.
Wann beginnt die neue Legislaturperiode? Wann wird der neue Präsident/die neue Präsidentin inauguriert?
Die 9. Legislaturperiode beginnt am 01.02.2016.
Der neue Präsident wird am 20.05.2016 ins Amt eingeführt.