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Musik

Bachfest Leipzig wagt Sprung nach vorne

Rick Fulker
18. Juni 2018

Mit knapp 80.000 Besuchern verzeichnete das Bachfest einen neuen Rekord. Über das Erfolgsrezept sprachen wir mit Intendant Michael Maul, der seinen Job als Kombination aus "Wühlmaus im Archiv und Rampensau" beschreibt.

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PD Dr. habil. Michael Maul
Bild: Michael Maul/Bach-Archiv Leipzig

33 Kantaten in zehn Konzerten allein am Eröffnungswochenende. Passionen, alle Brandenburgischen Konzerte, sämtliche Cellosuiten und die ganze "Clavierübung" Johann Sebastian Bachs: Bei gleichbleibendem Etat bot das Bachfest vom 8.-17. Juni in Leipzig ein Programm der Superlative. Seit Juni hat das Bachfest Leipzig einen neuen Intendanten: Michael Maul, 40, Musikwissenschaftler, Autor und Forscher beim Bach-Archiv in Leipzig. Wir sprachen mit ihm über den Jahrgang – und wie er den neuen Schwung fortsetzen möchte.

Deutsche Welle: 33 Kantaten in 48 Stunden. Wie sind Sie auf den großen Kantatenzyklus am Eröffnungswochenende des Festivals gekommen?

Michael Maul: Die Kantaten waren schon Dauergäste im Bachfest-Programm. Aber uns ging es darum, einmal in Gänze zu zeigen, wie hoch die Qualität ist. Dass es eben nicht nur die "Bekümmernis"-Kantate oder die "Kreuzstab"-Kantate sind, die einen vom Sitz reißen. Sondern, dass es ein unüberschaubarer Werkkomplex ist, dem man überhaupt nicht anmerkt, dass Bach diese Werke unter einem riesengroßen Zeitdruck schrieb.

Komposition von Johann Sebastian Bach
In Leipzig entdeckt man immer wieder verschollene Bach-Kompositionen wie diese, die Michael Maul 2005 aufspürteBild: AP/Bach-Archiv Leipzig

Es hat etwas von einem Ereignis, zu dem man hinpilgert - mit einer wunderbaren Mischung aus Bachs bekanntesten und interessantesten Werken. Ich finde, das passt total zu dem Format eines Festivals, zumal in der zentralen Bach-Stadt Leipzig. Dass wir damit einen Nerv getroffen haben, zeigen auch die Zahlen: Das Komplett-Ticket für alle 10 Konzerte im Kantatenzyklus war schon vor sechs Monaten ausverkauft.

Als Interpret stand Sir John Eliot Gardiner, der berühmte englische Dirigent und Präsident des Bach-Archivs, wahrscheinlich von vornherein fest?

Ja, Sir John Eliot Gardiner gab die Initialzündung, und es war klar, dass er mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists auftreten würde. Blieb also noch die Frage: Wen sonst lädt man ein? Ich habe für diejenigen plädiert, die sich bereits durch ihre Einspielungen und Aufführungen den kompletten Überblick über Bachs Kantatenwerk verschafft hatten. Da gibt es im Augenblick nur drei Ensembles: Das Bach-Kollegium Japan mit Masaaki Suzuki, Ton Koopman mit dem Amsterdam Baroque Orchestra und die Gächinger Kantorei Stuttgart. Natürlich war klar, dass auch die Thomaner - als fleischgewordene Leipziger Bachtradition - integriert werden. Damit hatten wir fünf Ensembles zusammen, um die zehn Konzerte zu füllen.

Bachfest Leipzig
Das Bachdenkmal vor der Thomaskirche in LeipzigBild: DW/G. Reucher

Sie sind von Haus aus Musikforscher, wühlen in Bibliotheken und suchen nach Informationen über Johann Sebastian Bach und seine Zeit. Das ist eine eher einsame Arbeit. Jetzt sind Sie aber auch Intendant des Bachfests. Wie sind diese beiden Welten für Sie vereinbar, die stille Forschung einerseits und die Öffentlichkeit andererseits?

Ich bin relativ schlecht darin, meine Begeisterung für Bach zu verstecken. Ich liebe diese Musik und weil ich sie so liebe, möchte ich möglichst viel über ihre Hintergründe herausfinden und nah an der Zeit sein, in der sie entstanden ist. Das kann ich am Besten, wenn ich dahin gehe, wo sich die Relikte aus der Zeit befinden. In den alten Archiven versuche ich zu ergründen, wie die Welt, in der Bachs Kantaten entstanden, war, wie die Aufführungsumstände waren. Oft findet man nichts, aber wenn dann ein neues kleines Puzzlesteinchen ans Licht kommt, kann man all denen, die Bach genauso lieben, davon berichten. Dann berauscht mich das. 

Nikolaikirche Leipzig
Die Leipziger Nikolaikirche ist eine der authentischen Aufführungsorte des BachfestsBild: Bachfest Leipzig/Gert Mothes

Es ist auch eine wunderbare Möglichkeit, dass das Bach-Archiv als Forschungsinstitut letztlich das größte Bach-Festival am wichtigsten Bach-Ort ausrichten kann. Als Bachforscher habe ich einen riesengroßen Vorteil gegenüber Wissenschaftlern, die über Atomphysik oder Chemie forschen. Bachs Musik kann jeder rezipieren, jeder kann sich die Werke anhören und hat eine Meinung dazu. Da spielen wir als Bacharchiv und Festival gerne den Bach-Erklärbär. Ich spreche gerne darüber, wie spannend das ist, weil ich es tatsächlich so empfinde. Und so bietet mein Job eigentlich die perfekte Mischung aus Wühlmaus im Archiv und Rampensau auf dem Festival (lacht).

Im Jahr 2000 wurde das Bachfest Leipzig neu aufgestellt. Inzwischen ist es zum wohl wichtigsten Bachfest weltweit aufgestiegen. Auch der diesjährige "Kantaten-Ring" hatte Signalwirkung. Soll es so weitergehen?

Das diesjährige Bachfest basiert auf den gleichen finanziellen Zuwendungen wie die Jahre zuvor. Wir haben sehr mutig geplant. Unsere Annahme war: Wenn die Künstler stimmen, wenn das Programm stimmt, dann können wir das Ticketangebot um 50 Prozent erhöhen und zugleich 50 Prozent mehr Tickets verkaufen. Aber die Nachfrage ist sogar überproportional gestiegen. Obwohl wir den Markt geflutet haben, gab es eine deutlich höhere Auslastung als in den letzten Jahren.

Wir wussten aus unseren Besucherstatistiken der letzten Jahre, dass 90 Prozent unserer Gäste nicht aus Sachsen kommen und dass sie im Schnitt 3,7 Tage bleiben. Die Leute müssen also in Flugticket und Übernachtung investieren. Wir wollten Angebote stricken für diejenigen, die vielleicht in San Francisco, Tokio, Düsseldorf oder Madrid unser Programm lesen und sehen, dass die Highlights nicht nur montags und freitags stattfinden, sondern in kleinen, fortlaufenden Zyklen.

Gemischter Jugendchor beim Bachfest-Eröffnungskonzert 2017
In früheren Zeiten undenkbar: heute werden die Thomaner auch mal mit Mädchenstimmen ergänztBild: Bachfest Leipzig/www.malzkornfoto.de

Wie kriegt man die Leute, die jetzt vom "Kantaten-Ring" angefixt sind, auch im nächsten Jahr wieder hierhin?

Das Motto 2019 lautet "Hofkompositeur Bach": Es geht um Werke, die Bach an Höfen und für Höfe komponiert hat. Bach war ja tatsächlich entgegen des Klischees viele Jahre seines Berufslebens an Höfen angestellt – in Cöthen war er Kapellmeister, in Weimar Hoforganist und Konzertmeister. Selbst während seiner 27 Jahre als Thomaskantor in Leipzig hatte er immer irgendwelche Ehrentitel bei benachbarten Hofkapellen – und schrieb für sie die entsprechenden Werke.

Wir werden aber auch nächstes Jahr wieder einen kleinen Kantatenzyklus haben. In vier Konzerten spielen wir die überlieferten Kantaten aus Bachs Zeit in Weimar, jedesmal in einer völlig unterschiedlichen aufführungspraktischen Herangehensweise. Mir ist nicht bange für nächstes Jahr. Wir haben wieder ein sehr hohes Ticketangebot und ich hoffe, dass die Leute anbeißen.

Das Interview führte Rick Fulker.