Ein Schlag ins Gesicht
4. November 2013Die Aufregung um Edward Snowden nimmt kein Ende. Seit seinem Treffen mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele steht die Möglichkeit im Raum, dass der Whistleblower vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagt. Seine Enthüllungen waren der Startschuss für die NSA-Abhöraffäre, bei der nahezu jede Woche neue Skandale ans Licht zu kommen scheinen. Von einer Befragung des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters erhoffen sich viele - auch Mitglieder der künftigen Regierung - weitere Informationen über die Überwachung von Kanzlerin Merkels Handy. Snowden könnte von Abgesandten in Moskau befragt werden - oder nach Deutschland eingeladen werden.
Die USA haben allerdings einen internationalen Haftbefehl für Edward Snowden ausgestellt. Laut eines Abkommens zwischen der EU und den USA müsste Deutschland ihn also eigentlich ausliefern, sobald er die Bundesrepublik betritt. Es gibt zwar ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung, das besagt, eine Auslieferung wäre nicht zwingend notwendig, wenn jemand wegen einer "Straftat mit politischem Charakter" verfolgt wird. Aber zum einen steht nicht fest, ob das auf Snowden zutrifft. Außerdem ließ dieser bereits durchblicken, dass Asyl in Deutschland eine Bedingung für sein Kommen wäre. Das lehnt die Bundesregierung allerdings weiterhin ab, wie Regierungssprecher Steffen Seibert nun noch einmal bekräftigte. Er warnte laut dem Nachrichtenmagazin "Spiegel Online" vor einem Zerwürfnis mit den USA.
Eine historische Verbindung
"Die Beziehung zu den USA ist immer noch die wichtigste, die die Bundesrepublik Deutschland außerhalb der europäischen Union hat", betont auch Karsten Voigt, von 1999 bis 2010 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Das habe bereits mit dem Schutz Westberlins durch die Amerikaner während des Kalten Krieges begonnen.
Amerikanische Soldaten versorgten beispielsweise das von sowjetischen Truppen blockierte Westberlin 1948 und '49 über eine Luftbrücke mit Lebensmitteln. Mit dem Marshallplan waren die USA außerdem wesentlich am Aufbau Westeuropas, also auch Westdeutschlands, nach dem zweiten Weltkrieg beteiligt. Seitdem haben sich die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern stetig weiterentwickelt.
Die jüngste und bislang vielleicht größte Krise war vor zehn Jahren das deutsche "Nein" zu einer Beteiligung am Irakkrieg vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. "Das Nein zum Irakkrieg hat den Beziehungen eine neue Qualität gegeben, weil sich hier ein Bündnispartner verweigert hat", erklärt Thomas Jäger, Professor für internationale und Außenpolitik an der Universität Köln, der DW. "Und jetzt sind wir noch einen Schritt weiter." Snowden sei in den USA ein Krimineller, habe in Deutschland aber beinahe Kultstatus erlangt. Die Wahrnehmung in den beiden Ländern sei vollkommen unterschiedlich.
"Ein Schlag ins Gesicht"
Aus diesem Grund wäre eine Einladung Snowdens nach Deutschland auch so heikel. Für den engen Partner USA käme sie einem Schlag ins Gesicht gleich: "Das würde in den USA als genauso eine Ohrfeige empfunden werden, wie wir das Abhören von Handys deutscher Politiker durch die NSA als Ohrfeige empfinden", sagte der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, im Deutschlandfunk.
Er hält es stattdessen für sinnvoll, das Gespräch mit amerikanischen Senatoren zu suchen, die das Verhalten der NSA ebenso kritisch sehen wie der deutsche Bundestag. Nach einem Bericht von "Spiegel Online" plant eine hochrangige Delegation aus dem US-Kongress eine diplomatische Reise nach Deutschland.
Auch das "No Spy" Abkommen, das gerade zwischen Deutschland und den USA zur Verhandlung steht, sieht Ischinger als Schritt in die richtige Richtung. Würden diese Ziele verfolgt, "dann wird es gelingen, Vertrauen wieder herzustellen und den Vertrauensschaden, der erheblich ist, zu reparieren. Und das ist im Interesse beider: Europa und Amerika."