Das britische Pfund fängt sich - kaum
12. Oktober 2016Die Londoner Regierungschefin Theresa May machte sich am Mittwoch auf, die Wogen etwas zu glätten. In der letzten Woche hatten düstere Prognosen zur Zukunft des Landes nach einem Brexit das britische Pfund auf Talfahrt geschickt. Der Tiefpunkt für die Landeswährung endete auf einem 31-Jahrestief, innerhalb von Minuten hatte das Pfund allein am Freitag zehn Prozent an Wert eingebüßt. Am Mittwoch legte das Pfund um gut ein Prozent zu.
Premierministerin May versicherte nun, sie sei optimistisch für ihr Land, wenn es die EU verlassen habe. Bis spätestens März kommenden Jahres will May einen offiziellen Austrittsantrag an die EU stellen. Über die darauf folgenden Verhandlungen mit der Europäischen Union und Großbritannien werde das Parlament in London sicherlich debattieren können - nicht aber abstimmen. Bei den Verhandlungen werde man den größtmöglichen Zugang zum gemeinsamen Markt der EU durchsetzen, versicherte die Regierungschefin. Der "deal" mit der EU müsse allerdings auch eine Einschränkung der Einwanderung enthalten.
Was wird aus dem EU-Pass?
Beides ist allerdings stark umstritten. Hohe EU-Vertreter hatten mehrfach darauf hingewiesen, es werde für London keinen vollen Zugang zum gemeinsamen Markt ohne Freizügigkeit für die EU-Bürger geben. Vor allem für den britischen Bankensektor ist dieser Marktzugang wichtig. Bisher haben britische Banken einen sogenannten EU-Pass für ihre Finanzgeschäfte mit dem Kontinent. Der würde mit dem Brexit wegfallen.
Deshalb hatten führende Londoner Banker am Dienstag gewarnt, man könne schon im kommenden Jahr anfangen, Personal ins europäische Ausland zu verlegen, wenn es nicht bald Klarheit über den Zugang zur EU gebe. "Es ist eigentlich nicht furchtbar kompliziert", sagte etwa der Chef von Morgan Stanley International, Rob Rooney. "Wenn wir keinen stabilen Zugang zum gemeinsamen Markt mehr haben, müssen wir eine Menge Sachen, die wir jetzt von London aus machen, innerhalb der EU machen."
"Finanz-Biotop" London
Zu den Sorgen der Branche äußerte sich am Mittwoch auch der Vize-Chef der britischen Notenbank. Vor Parlamentariern in London sagte Jon Concliff, es herrsche "große Unsicherheit", ob und wenn ja, in welchem Umfang, Geschäft aus der britischen Hauptstadt nach einem Brexit abwandern werde. Allerdings gebe es in der EU keinen Finanzstandort, der seiner Ansicht nach London ersetzen könne Als "Finanz-Biotop" biete die Stadt in Europa "ziemlich einzigartige" Strukturen. Er könne sich aber vorstellen, dass einige im Bereich Finanzdienstleistungen angesiedelte Aktivitäten nach New York verlegt würden, so Concliff.
Dagegen steht nach Ansicht von Experten insbesondere die Abwicklung von Euro-Derivategeschäften - das sogenannte Clearing - nach einem EU-Ausstieg zur Disposition. Finanzplätze wie Paris und Frankfurt gelten als erste Anwärter, die Rolle Londons zu übernehmen. Deutsche Banker, Börsianer und Anwälte sehen einer Umfrage zufolge die Main-Metropole ohnehin als großen Gewinner eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union.
Das schwächelnde britische Pfund hat der Londoner Börse derweil zum Höhenflug verholfen – bis zum Mittwoch. Der Aktienindex FTSE der hundert größten börsennotierten Unternehmen war am Dienstag zeitweilig bis auf 7129,83 Punkte geklettert und hatte damit einen neuen Rekord erreicht. Ein schwaches Pfund beschert britischen Unternehmen mit Geschäften im Ausland wegen des günstigeren Umrechnungskurses höhere Einnahmen, ihre Aktien sind daher begehrt. Am Mittwoch legte das Pfund dann nach fünf Tagen erstmals etwas zu, und prompt gab die Börse in London wieder nach.
ar/ul (rtr, afp, dpa)