Das dreckige Geschäft mit unserem Müll
24. März 2022Wir Deutschen sind überaus fleißig und pflichtbewusst beim Trennen von Müll. Mühsam und äußerst akkurat sortieren wir tagein, tagaus den Abfall und haben ein gutes Gefühl dabei - wir tun ja etwas für unsere Umwelt. Sauber trennen wir die Plastik-Sichtfenster von den Papierbriefumschlägen, spülen Kunststoffverpackungen: Quarkschale für Quarkschale, Yoghurtbecher für Yoghurtbecher. Denn es wird ja alles recycelt. Das lernt man schon im Kindergarten, in der Grundschule, Zuhause. Was aber, wenn man erfährt, dass mehr als die Hälfte unseres Plastik-Abfalls nicht zu neuem Kunststoff wird, zu neuen Quark- oder Yoghurtbechern? Was, wenn man erfährt, dass Unmengen Plastik in Zementfabriken verbrannt werden, mit oft verheerenden Folgen für die Umwelt? Was, wenn wir erfahren, dass Deutschland, wie auch andere westliche Länder, diesen Müll sehr gerne exportieren – nach Rumänien, zum Beispiel, Bulgarien oder Polen. Und zwar dorthin, wo es wesentlich günstiger ist, ihn zu verbrennen. In Ländern, die es nicht so genau nehmen mit den Umweltbestimmungen, in Ländern, in denen Korruption den Alltag bestimmt. Ist unser Gewissen immer noch rein?
Die rumänische Dramatikerin und Regisseurin Gianina Cărbunariu, Intendantin des "Jugendtheaters" in Piatra Neamţ, einer Stadt im Nordosten Rumäniens, und das Schauspiel Stuttgart klären das Publikum auf mit "Waste!", einem Stück, das nun in der Hauptstadt Baden-Württembergs Premiere feierte.
"Es ist weder ein rumänisches noch ein deutsches Problem, sondern ein europäisches – mit vielen unterschiedlichen Akteuren", betont Cărbunariu im DW-Gespräch. "Ich wusste auch nicht, dass Müll in Zementfabriken als Brennstoff genutzt wird. Und dass viel illegaler Müll nach Rumänien kommt, dass dabei die Umwelt und die Menschen in der Region teilweise sehr stark darunter leiden. Und Konsequenzen gibt es kaum."
Illegaler Müll als "Second-Hand-Ware"
Aufmerksam auf dieses Thema wurde die Autorin durch den Film der rumänischen Investigativjournalistin Romana Puiuleţ "Cement's Dirty Business", der die erschreckenden Dimensionen dieses Riesengeschäfts mit Müll – mit illegalem, wohlgemerkt – verdeutlicht.
Das Thema hat Cărbunariu bereits 2020 in ihrem Video-Essay "Postwest – something digital" für die Berliner Volksbühne aufgegriffen. Dem ging, wie auch bei ihren anderen Stücken, eine äußerst gründliche Recherche voraus. Sie hat Orte besucht, an denen HeidelbergCement Zementfabriken in Rumänien betreibt, hat mit den Menschen vor Ort gesprochen. Im siebenbürgischen Dorf Chişcădaga, einem dieser Orte, haben die Menschen vor etwa 15 Jahren noch protestiert – doch ohne Erfolg. "Die kleine Dorfgemeinschaft wurde eines Tages des Kampfes müde. Wir wissen ja, dass ein Kampf gegen internationale Großkonzerne nahezu aussichtslos ist. Doch die Folgen für Natur und Mensch sind sichtbar. Obstbäume tragen keine Früchte mehr, die Brunnen sind verseucht, Menschen sterben an Lungenkrebs und Herzkrankheiten. Keiner weiß, was da wirklich verbrannt wird. Oft kommt der illegale Müll als deklarierte Second-Hand-Ware nach Rumänien", erzählt die Dramatikerin.
In ihrem neuen Stück "Waste!" spricht Cărbunariu eine "ökologische Katastrophe" an, die sich bei einer anderen von HeidelbergCement betriebenen Fabrik in Rumänien 2021 ereignete. Nachdem im Ort Taşca über 5 Tonnen Ammoniak in den Fluss Bicaz gekippt wurden, starben alle Fische. Forellenzüchter in der Region wurden hart getroffen. Die Folge? "Die Firma musste etwa 50.000 Euro Strafe zahlen, entschuldigte sich und beteuerte, die Umwelt hätte stets höchste Priorität. Das war's."
Schockierende Tatsachen auch für das Team des Staatstheaters Stuttgart. "Wir haben vor Probenbeginn zwei Wochen nur geredet. Es gab unheimlich viele Sachen zu klären, zu verstehen. Über die illegalen Geschäfte mit dem Müll, über die allgegenwärtige Korruption in Rumänien. Die Bürgermeisterin, die ich spiele, ist gleichzeitig auch Lehrerin und eröffnet auch noch ein Gasthaus. Alles Fulltime-Jobs. Es ist wahnsinnig ernüchternd", erzählt Schauspielerin Christiane Roßbach der DW.
"Man hat drei Mülleimer und denkt, man tut was. Doch letztlich sieht es anders aus. Auch dass Abfall irgendwo weit weg entsorgt wird, wissen viele, doch man verdrängt es gerne und macht sich ein gutes Gewissen mit seinen drei Mülleimern Zuhause." Durch dieses Stück sei man hellhöriger geworden und würde nicht mehr alles so leicht glauben, was einem erzählt wird.
Müll, das neue Gold
"Vieles davon hatten wir noch nicht gewusst. Über die Zementfabriken, in denen Müll als Brennstoff eingesetzt wird, mit Folgen für die Umwelt. Über die Müllexporte nach Osteuropa. Es sind dunkle Geschäfte mit mafiösen Strukturen. Müll ist das neue Gold", so Carolin Losch, Dramaturgin am Schauspiel Stuttgart, im DW-Gespräch. "Wie bleibt es mit der Solidarität in der EU? Wie mit dem Europa der Werte?", fragt Losch, "wenn die EU ihr Müllproblem auf Kosten der ärmeren Länder in der Union löst?"
Gianina Cărbunariu inszenierte "Waste!" als Dokumentar-Märchen. Eine mehr als ernüchternde Geschichte, dargestellt als Fantasiewelt, in der ein Pfau, ein Bär und Fische vorkommen – alles Anspielungen auf wahre Begebenheiten: "Es sind Sachen, die ich niemals erfinden könnte. Auf dem Gelände der Zementfabrik Fieni, auch Teil des Heidelberger Konzerns, gibt es eine Pfauen-Voliere. Die schönen bunten Tiere sollen ein Beweis für die gute Luftqualität im Ort sein." In ihren sozial-politischen Stücken setzt Cărbunariu oft Komik und Ironie als ästhetische Mittel ein.
"Ironie schafft Distanz. Ich wollte nicht, dass das deutsche Publikum ins Theater kommt und von Mitleid ergriffen wird für Menschen, die Tausende Kilometer weit weg sind. Ich wollte, dass die Theaterbesucher dieses Phänomen verstehen. Dieser Planet gehört uns allen und das, was kilometerweit von hier passiert, geht uns alle an. Die Folgen werden wir alle spüren. Das allerdings ist die Realität und kein Märchen."
Angst und Frustration: Nährboden für Populisten
In ihrem anderthalbstündigen Stück spricht Gianina Cărbunariu auch ein anderes Problem unserer Zeit an: den Populismus. "Die rechtsextremen populistischen Bewegungen, Parteien würde ich sie weniger nennen, da keine wirkliche Ideologie dahinter steckt, gedeihen auf einem Boden voller Angst und Frustration. So zum Beispiel AUR in Rumänien." Die Ängste der Menschen seien verständlich. "Sie sind sogar in den zwei Jahren Pandemie und jetzt, seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, noch mehr gewachsen. Wir leben in einer globalen Welt, daher haben lokale Lösungen oft keine Wirkung", so Cărbunariu. Die Voraussetzung, um etwas zu verändern, ist Wissen, Aufklärung und Nachdenken. Die rumänische Dramatikerin ist jedoch zuversichtlich und spricht dem Theater eine wichtige Rolle zu: "Das Theater hat die Kraft, Menschen zum Nachdenken zu bringen."
Christiane Roßbach setzt zusätzlich auf die neue Generation: "Wir haben eine Jugend, die unheimlich aufmerksam ist, was die Umwelt angeht. Und es betrifft sie noch mehr. Diese Generation wird es richtig spüren."
"Waste!" kann man auch in den nächsten Monaten am Stuttgarter Theater erleben. Schulklassen sollen zu den Vorstellungen auch eingeladen werden.