Das Ende der EU-Umweltpolitik?
16. September 2014Die zehn führenden europäischen Umweltverbände sind sich einig: Die neue EU-Kommission will die Umweltstandards innerhalb der Europäischen Union herabstufen. In einem gemeinsamen Brief rufen auch deutsche Verbände und Vertretungen - NABU, BUND, Deutscher Naturschutzring und WWF - ihre EU-Parlamentarier dazu auf, der künftigen EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker die Zustimmung zu verweigern. Sie fordern deutliche Nachbesserungen für den Umweltschutz.
Juncker will die Ressorts nicht nur mit neuen Kommissaren besetzen, sondern auch deren Zuständigkeiten neu ordnen. Neuer Umweltkommissar soll Karmenu Vella aus Malta werden. Der soll sich auch um Fischerei kümmern und ist dem Superkommissar für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet.
Die Umweltschützer befürchten, dass Vellas Auftrag eher auf wirtschaftlichen Aufschwung ausgerichtet ist als auf die Lösung aktuell gravierender Umweltprobleme. "Vella hat von Juncker den Auftrag erhalten, die Naturschutzgesetze zu modernisieren. Das ist ein klares Codewort für 'die Standards senken'", sagt Konstantin Kreiser, beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) zuständig für Internationale Biodiversitätspolitik.
Falsche Kandidaten, falsche Zuständigkeiten
Die Umweltschützer betrachten es ohnehin als Affront, dass ausgerechnet der Kandidat aus Malta - wo die illegale Jagd auf Zugvögel immer noch an der Tagesordnung sei - "die Existenzberechtigung der EU-Vogelschutzrichtlinie überprüfen soll. Allein das Organigramm der neuen EU-Kommission zeigt eine erhebliche Herabstufung der Umweltpolitik", sagt NABU-Sprecher Konstantin Kreiser.
Der NABU und die anderen Verbände fordern Vella auf, sich klar von den Rechtsbrüchen in seiner Heimat zu distanzieren. Nur so könne er seine Unabhängigkeit beweisen und glaubhaft arbeiten.
Aber die harsche Kritik geht weiter: Die Umweltverbände wollen auch verhindern, dass Juncker den Spanier Miguel Aria Cañete zum Kommissar für Klima und Energie macht. Cañete ist in der Industrie mit fossilen Energieträgern gut vernetzt. "Cañete war Präsident einer Ölfirma und hat dort auch Anteile, sagt NABU-Experte Kreiser. Damit sende Juncker fatale Signale an die Weltöffentlichkeit und die nächsten Weltklimakonferenzen in Lima und Paris, heißt es in dem offenen Brief. "Das Ressort Klima und Energie ist dem Superkommisar für die Energieunion untergeordnet, der für den europäischen Energiemarkt zuständig ist", sagt NABU-Sprecher Konstantin Kreiser: "Der Klimaschutz verschwindet in der neuen Struktur sehr stark."
Auch vom designierten EU-Ratspräsidenten Donald Tusk erwarten die Organisationen nicht, dass er sich für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen wird.Tusk kommt aus Polen, und das Land setzt weiterhin auf die Verstromung der umweltschädlichen Braunkohle.
Juncker strebt eine größere Unabhängigkeit der EU von Energieimporten und mehr Energiesicherheit an. Aber die Umweltschutz-Organisationen sind davon überzeugt, dass dies nur mit Hilfe des naturverträglichen Ausbaus erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energieeffizienz machbar ist. Das Festhalten an Kohle und Atom und der Abbau von Fracking-Gas seien der falsche Weg, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Organisationen.
"Die Neuordnung droht, Europas Ruf als Umweltschutz-Pionier zu zerstören"
Die EU-Agentur für Chemie soll zudem nicht mehr an das Umweltressort angeschlossen werden, sondern beim Fachbereich Unternehmen. Keiner der sieben Vizepräsidenten wird für Nachhaltigkeit oder Ressourceneffizienz zuständig sein.
Die Organisationen fordern daher einen Vizepräsidenten für Nachhaltigkeit, zuständig für Umweltbelange. Außerdem wollen sie, dass die Vizepräsidentin für die Energieunion sich ausdrücklich auch für den Klimaschutz zuständig erklärt. Ein starkes Umweltressort solle die Naturschutzrichtlinien konsequent umsetzen und wie beschlossen bis 2020 auf das EU-Ziel zur biologischen Vielfalt hinarbeiten. Außerdem verweisen die Kritiker auf mögliche Interessenskonflikte im Bereich Klima und Energie.
Vergangene Woche waren die Pläne des neuen Kommissionspräsidenten bekannt geworden, eigene Umwelt- und Klimakommissare abzuschaffen. "Wir hoffen auch, dass die Bundesregierung ihren großen Einfluss auf Brüssel geltend macht", sagt Konstantin Kreiser. Sehr froh sei man gewesen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Erklärung im Europäischen Rat unterschrieben habe. Diese besagt, dass die Entbürokratisierung der EU nicht zu einer Reduzierung der Umweltstandards führen soll. Die Vorschlage Junckers bewirkten genau das Gegenteil, so der NABU.