Das Geheimnis des bulgarischen Joghurts
8. November 2023Eine Kurve nach der anderen, dichter Wald auf beiden Seiten, schmale Fahrspur, tiefer Nebel - undurchdringlich, kühl. Der Weg in den Nordwesten Bulgariens eignet sich nicht gerade für Menschen mit einem schwachen Magen. Hier befindet sich eine der ärmsten Regionen der EU - aber reich an Geschichten, wie die des Ziegenbauers Dimitar Vitanov.
"Eigentlich bin ich Buchhalter von Beruf, aber ich habe mich entschieden, meinem Vater auf unserer kleinen Ziegenfarm im Dorf zu helfen. Auf dem Lande spüre ich weniger Stress und Hektik als in der Stadt, obwohl die körperliche Arbeit viel mehr ist. Aber die Sorgen sind deutlich weniger, ich habe meine Ruhe, ich fühle mich besser, eigentlich kann ich es gar nicht in Worte fassen", sagt der Mitte 40-jährige Dimitar Vitanov. 130 Ziegen besitzen er und sein Vater inzwischen.
Die Joghurt-Nachfrage ist groß
Wenn er nicht in seiner kleinen Molkerei Käse und andere Milchprodukte herstellt, dann ist Dimitar Vitanov den ganzen Tag mit den Ziegen auf den umliegenden Weiden unterwegs. "Manchmal nehme ich ein kleines Radio mit. Und manchmal vergesse ich es - und verbringe die Stunden ganz allein - die Natur, die Tiere und ich, das war's."
An anderen Tagen übernimmt eine Dorfbewohnerin die Ziegen, während Dimitar Vitanov und sein Vater "Sirene" (weißer Käse wie Feta) und "Kaschkaval" (gelben Käse) herstellen. "Die Prozedur müssen wir ganz genau einhalten", sagt Dimitar und erklärt minuziös und sorgfältig jeden Herstellungsschritt des Käses. Jeden Mittwoch fährt er zu einem Bauernmarkt ins Zentrum der Hauptstadt Sofia. "Inzwischen kommen wir mit der Produktion gar nicht mehr hinterher, der Bedarf ist so groß, dass die Menschen sogar bis zu uns nach Hause kommen, um unsere Produkte zu kaufen." Vor allem der Ziegenjoghurt erfreue sich großer Beliebtheit und der Grund sei ganz einfach: "Er verlängert das Leben und heilt Krankheiten", ist Dimitar überzeugt. Stimmt das?
Die Entschlüsselung des Joghurts
Was ist also das Geheimnis des bulgarischen Joghurts? Es sind die kleinen Mikroorganismen, die Bakterienkulturen, die auf natürliche Weise in der Milch vorkommen und die charakteristisch für Bulgarien sind. Die Art der Herstellung und die dazugehörigen Bakterien sind eine Kombination, die nachweislich gesundheitsfördernd ist.
Im Jahr 1905 hat der bulgarische Wissenschaftler Stamen Grigorov die Zusammensetzung des heimischen Joghurts entschlüsselt. Er brachte aus seinem Dorf einen traditionellen Tonbecher, eine sogenannte Rukatka, mit selbst gemachtem Joghurt in sein Labor an der Universität Genf, um ihn im Rahmen seiner Studien zu untersuchen. Kurze Zeit später hatte er das entscheidende Bakterium identifiziert, das dafür sorgt, dass Milch fermentiert und zu Joghurt wird.
Gesundheit im bulgarischen Joghurt
Grigorovs Arbeit über die genaue Zusammensetzung von Joghurt wurde von dem Biologen und Nobelpreisträger Ilja Metschnikow, geboren in Oblast Charkiw, der heutigen Ukraine, aufgegriffen. In seinem Buch "The Prolongation of Life" ("Die Verlängerung des Lebens") aus dem Jahr 1908 stellte Metschnikow einen Zusammenhang zwischen dem hohen Joghurtkonsum der bulgarischen Bauern und einem sehr langen Leben her. Es war der Anfang des Siegeszugs des bulgarischen Joghurts, der sich in den darauffolgenden Jahrzehnten großer Beliebtheit erfreuen sollte und den anderen bekannten Joghurts, wie etwa dem aus Griechenland, Konkurrenz machte. Dabei unterscheiden sich beide Sorten grundlegend: Der bulgarische wird nicht abgeseiht und so bleibt die Molke, die hochwertiges Eiweiß und Mineralien beinhaltet, erhalten. Wohingegen der griechische Joghurt durch ein Sieb muss - daher die cremige, milde Konsistenz. Der bulgarische Joghurt ist säuerlich und stichfest, kein Wunder, dass er auf Bulgarisch "saure Milch" heißt und für eine Vielfalt an Gerichten verwendet wird - wie für Tarator, eine Art kalte Suppe aus Joghurt und Gurken, für Snezhanka, eine Art Zaziki, als erfrischendes Getränk verdünnt mit Wasser und Salz oder einfach so, direkt aus dem Becher gelöffelt.
Bakterium aus Bulgarien: Lactobacillus bulgaricus
Vor lauter Übermut und Stolz meint der eine oder andere Bulgare, der Joghurt sei in Bulgarien erfunden worden. Doch bestätigen kann man das nicht. Waren es die Thraker auf dem Balkan oder die nomadischen Turkvölker in Zentralasien oder wurde er doch in Persien zubereitet - wo genau und welches Volk diese Art der Milchfermentierung zuerst entdeckt hat, ist nicht geklärt. Ein Patent gibt es nicht - die Bulgaren können damit leben, solange die Mikroorganismen im Joghurt, denen nachgesagt wird, die Verdauung zu verbessern und das Immunsystem zu stärken, nach deren Land benannt sind - Lactobacillus bulgaricus.
Auch Dimitar Vitanov ist von den - wie er sagt - "Wundern" seines Joghurts überzeugt - und reicht zwei große Pötte aus dem Kühlschrank heraus: "Hier probieren Sie - und überzeugen Sie sich selbst", sagt er und ist sich der Zustimmung des Verkosters gewiss.
Mehr über den bulgarischen Joghurt und die Geschichte der Milch hören Sie im DW-Podcast "Don't Drink the Milk" mit Rachel Stewart. Sie finden diesen auf den gängigen Podcastplattformen.