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Reeperbahnfestival 2013

Peter Zimmermann1. Oktober 2013

350 internationale Künstler traten beim Reeperbahn Festival in Hamburg vor Fans und Fachpublikum auf. Den Managern geht es ums Geld. Wo bleibt die Leidenschaft für die Musik? Viele Musiker gehen neue Wege.

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Die Stars wie James Blunt, die britische Sängerin Birdy oder die deutsche Band Casper traten auf der großen Bühne auf. Das richtig aufregende Musikleben aber zeigte sich in den vielen engen Kiez-Clubs entlang der "sündigen Meile": Das Reeperbahn Festival in Hamburg ist Deutschlands größtes Clubfestival, bei dem Fans vor allem unbekannte Acts entdecken können. Den britischen Rapper Ghostpoet, zum Beispiel, oder das norwegische Elektro-Duo Lemâitre, die französische Indie-Band Juveniles, die niederländischen Rocker Birth of Joy oder die neue deutsche Band Gloria.

Insgesamt waren an drei Tagen mehr als 300 Bands aus rund 30 Ländern zu erleben. 28.000 Zuschauer ließen sich so große Vielfalt auf engstem Raum nicht entgehen. Und Vertreter der Musikindustrie kamen natürlich auch. Nicht ganz selbstlos.

Ghostpoet, buergerlich Obaro Ejimiwe - der britische Saenger und Produzent live beim Reeperbahnfestival 2013 im Mojo Club.
Ghostpoet rockt den kleinen Mojo-ClubBild: picture alliance/Jazzarchiv

Dem Künstler dienen

"Es geht nicht darum, was wir wollen. Es geht darum wie wir dem Künstler dienen können, der zu uns kommt!", sagt Philip Ginthör und erntet damit während einer Podiumsdiskussion Gelächter. Man glaubt dem nicht mehr ganz jungen Musikmanager nicht. Denn der Jurist ist Geschäftsführer von SONY Music in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und SONY gehört zu den "Majors" - mit Universal und Warner einer der drei Großkonzerne, die 80 Prozent des Musikgeschäfts weltweit unter sich aufteilen. "Bedingt durch die globalen Entwicklungen haben auch wir uns sehr verändert. Aber wir bieten Künstlern unter einem Dach immer noch maßgeschneiderte Lösungen bei bester globaler Vernetzung." Vor allem entdeckten und entwickelten die Majors Talente, ermöglichten Kontakte zu den besten Komponisten und Produzenten, ergänzt der Manager stolz.

In der Tat habe es bei den Majors seit den 80er Jahren einen Paradigmenwechsel gegeben, meint Berthold Seliger. Der Berliner Konzertveranstalter kennt das Musikgeschäft wie seine Westentasche und hat darüber gerade ein spannendes Buch geschrieben. "Den Majors geht es schon lange nicht mehr darum, eine bestimmte Musik mit Leidenschaft zu vertreten und kulturelle Werte zu erschaffen", so sein Fazit. Die Politik habe multinationale Konzerne ermöglicht, die vor allem den eigenen Aktionären Rechenschaft schuldig seien. Und da gehe es ausschließlich um den größtmöglichen Profit.

Berthold Seliger beim Reeperbahn Festival 2013 in Hamburg.
Berthold Seliger kämpft für selbstbestimmte KunstBild: Laschitzki

Mittel zum Zweck

Die Macht der ganz Großen entscheidet über das meiste, was uns täglich zu Ohren kommt. Und seit 20 Jahren rücken sie immer enger zusammen, um mit Musik den Konsum anzuheizen: Tonträgerindustrie, Verleger, Konzertveranstalter, Managementfirmen, Agenturen, Ticketing-, Telekommunikations- und Medienunternehmen. Auch in Deutschland.

BAP-Sänger Wolfgang Niedecken entdeckt die Business Class in einem neuen Billig-Kombi, Beyoncé wirbt für Stoffe einer fragwürdigen Modekette, Joe Cocker segelt weiterhin mit Bier aus Bremen über das Wasser. Künstler mit Hit-Potential geben ihre Musik in sogenannten Buy-Out-Verträgen samt Copyright an die Majors ab, danach arbeiten sie für die Unternehmen. Und für die Werbung. "Und das Ziel der Großen ist letztendlich, geschlossene Systeme zu schaffen und den Zugang zu kontrollieren", erläutert Konzertveranstalter Seliger dem Publikum beim Reeperbahn Festival.

Die Rückwand eines Touristenbusses in Rom zeigt Sängerin Beyonce, die für einen Billig-Bikini einer umstrittenen Modekette wirbt.
Sängerin mit Billig-Bikini: BeyoncéBild: Gabriel Bouys/AFP/Getty Images

Das Geschäft verschlafen

Die digitale Technik hat Musikproduktionen erleichtert. Jeder Musiker hat inzwischen die Möglichkeit, erschwingliche Aufnahmen zu machen. "Wir haben Glück, dass so viele Technologien ausgereift sind, und jeder sie bedienen kann. Du suchst dir also erst dann Hilfe, wenn du sie wirklich brauchst", sagt Steven O'Reilly. Seit zehn Jahren arbeitet er an digitalen Projekten mit den Rolling Stones, Travis und anderen ganz großen Namen in der Musikindustrie zusammen. Wer Beratung und Hilfe braucht, finde sie jetzt bei spezialisierten Firmen der "Nu School" – sogenannte "Label Services". "Wir konzentrieren uns auf den wachsenden digitalen Musikmarkt", sagt Paul Hitchman, Chef von Kobalt Label Services. Jeder der eine Aufnahme oder ein Projekt habe, könne zu ihnen kommen. "Wir beraten, bieten einen Komplettservice von der Veröffentlichung einer Single über Marketing bis zum Vertrieb. Und mehr."

Reeperbahn Festival 2013: die Band Kofelgschora Oberammergau rockt die Hamburger Sparkasse auf der Reeperbahn.
Kofelgschora: Oberammergau-Beat in der SparkasseBild: Leny Meyer

"Nu School" heißt mehr Rechte

Paul Hitchmans Firma konnte durch die ganz neuen Möglichkeiten des Internets erst entstehen. Egal welches Genre, welche neuen Ideen – als Berater für die Musiker werden leidenschaftlich begeisterte Experten gesucht und gefunden. Dabei hat die "Nu School" das Geschäftsmodell der "Majors" auf den Kopf gestellt: Der Künstler behält sein Recht am eigenen Werk - immer. Er unterschreibt keine Knebelverträge. Er zahlt nur für erbrachte Dienstleistungen. "Und wenn beiden Seiten die Zusammenarbeit gefallen hat, macht man vielleicht ein weiteres Projekt zusammen", lacht Hitchman.

Alle seine Kollegen haben irgendwann einmal selbst für die "Majors" gearbeitet und sich dann von ihnen getrennt. Und alle sind sich in den Gesprächsrunden beim Reeperbahn Festival einig: Dass der Künstler in der "Nu School" sein geistiges Eigentum nicht verliert und dass er immer selbst die Kontrolle über sein Projekt behält, ermöglicht eine Arbeit auf Augenhöhe - eine feinsinnige und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die neue Vielfalt auf den globalen Musikmarkt bringen dürfte.

Reeperbahn Festival 2013 in Hamburg: SONY-CEO Philip Ginthör und Kobalt Label Services-Chef Paul Hitchmann begegnen sich mit Distanz im Gespräch.
Annäherung: Philip Ginthör und Paul HitchmanBild: DW/P. Zimmermann

Offene Tür für neue Kultur

Ein charmantes Modell also, wenn Künstler und Verwerter partnerschaftlich denken und auf Augenhöhe arbeiten. Dann stehe die Welt des Internets und der Musik weit offen, findet Konzertmanager Berthold Seliger. "Es gibt zu jeder Bewegung eine Gegenbewegung. Ich glaube daran, dass junge Menschen irgendwann feststellen werden, dass das, was ihnen die Konsumindustrie anbietet, zu wenig ist. Dass es wahre Werte zu entdecken gibt. Und da bin ich ganz optimistisch, dass wir schon in kurzer Zeit eine ganz tolle, spannende neue Kultur erleben werden!"