Das Internet der Dinge
2. Januar 2012Bald werden mehr Dinge im Internet sein als Menschen. Das sagen Zukunftsforscher voraus. Und meinen damit die Entwicklung von etwas, das als "Internet der Dinge" die Fantasie von Wissenschaftlern, Technikern, Unternehmenschefs und Wirtschaftspolitikern beflügelt. Zuletzt wurde das beim nationalen IT-Gipfel Anfang Dezember in München deutlich. Da pries die deutsche Kanzlerin Angela Merkel große Chancen für deutsche Unternehmen "an der Schnittstelle zwischen der starken Realwirtschaft und den Internet-Anwendungen" – und meinte damit das "Internet der Dinge".
Dazu passt ein im Internet kursierender Witz. Da ist eine Google-Suchmaske zu sehen mit der Frage: "Wo sind meine verdammten Schlüssel?" Als Suchergebnis steht da: "Oben auf dem Kühlschrank, wo du sie hingelegt hast, du Trottel!" Das "Internet der Dinge" betreibt die Verschmelzung der physischen mit der virtuellen Welt.
Dinge generieren Daten
Den Ausdruck vom "Internet der Dinge" hat der britische Technikpionier Kevin Ashton bereits 1999 geprägt. Was er darunter verstand, hat sich seither nicht geändert. Bislang, so Ashton, sei das Internet für die Informationsbeschaffung fast vollständig von Menschen abhängig: Von Menschen, die Daten eingeben, Aufnahmeknöpfe drücken, Bilder und Videos auf Server laden, Barcodes scannen. In Zukunft könnten die Dinge selbst Daten eingeben.
Eine Schlüsseltechnologie dafür sind sogenannte RFID-Chips. RFID steht für Radio Frequency Identification. RFID-Chips werden mittlerweile in großen Stückzahlen zu geringen Kosten hergestellt. Sie können auch ohne eigene Stromversorgung mit Lesegeräten kommunizieren. Jeder Chip trägt eine unverwechselbare Nummer.
Im einfachsten Fall identifizieren sie lediglich das Objekt, an dem sie befestigt sind. Das passiert zum Beispiel bei elektronischen Autoschlüsseln oder wird in der Logistik genutzt: Pakete können sich an Lesegeräten selbst identifizieren und werden anschließend auf den richtigen Weg gebracht.
Schnittstelle Handy
In Kombination mit Sensorik und eingebetteter Informationsverarbeitung wird aber sehr viel mehr daraus. Gegenstände sollen intelligent werden oder "smart", wie es überall heißt. Sie sollen Daten erheben, kommunizieren und Vorgänge steuern. Das "intelligente Haus" zum Beispiel weiß dank seiner Sensoren nicht nur, wie warm es in den unterschiedlichen Räumen ist. Es weiß, wo sich Menschen aufhalten, wie sie sich bewegen und was sie machen.
Weil es mit lernenden Maschinen und Web-Technologe ausgestattet ist, kann es seine Bewohner über deren Mobiltelefone auch außerhalb des Hauses orten. Überhaupt werden Smart-phones die wichtigste Schnittstelle zum "Internet der Dinge" werden. Lässt man sich morgens davon wecken, kann das Haus zum Beispiel die Heizung im Badezimmer eine halbe Stunde vor dem Aufstehen anwerfen.
Nervensystem für die Erde
Schon ist die Rede auch von "smart cities", in denen eine Fülle von Daten in Echtzeit erhoben und analysiert werden, damit der Verkehr besser fließt, die Wasserversorgung effizienter wird und Ressourcen insgesamt sparsamer genutzt werden. Über die physische Welt soll ein Netz gelegt werden, dass die Datenfülle der "smarten" Dinge und allgegenwärtigen Sensoren verknüpft und verarbeitet. Muster sollen erkennbar und Verbraucherverhalten steuerbar werden.
Eine Youtube-Suche zum Stichwort "Internet of Things" fördert ein Video von IBM auf den Bildschirm. Da wird in den schönsten Farben ausgemalt, wie der Planet Erde durch das "Internet der Dinge" ein regelrechtes Nervensystem entwickelt.
Schon vor Jahren hat IBM die Forschung in diesem Bereich forciert. Bei einem Projekt im brasilianischen Rio de Janeiro arbeitet das Unternehmen an einem Programm zur Katastrophenvorsorge: Sensoren im Boden und in der Luft sollen verbunden mit einem System künstlicher Intelligenz Starkregen und damit Erdrutsche bis zu 48 Stunden vor dem Ereignis vorhersagen können. Damit bliebe Zeit genug für Evakuierungen. Erst im vergangenen Jahr waren in Rio Dutzende Menschen bei einem Erdrutsch ums Leben gekommen.
In Deutschland wird ebenfalls intensiv geforscht. Unter anderem gefördert vom Wirtschaftsministerium. Das hat mit "Autonomik" jetzt schon das zweite Programm zum "Internet der Dinge aufgelegt. Worum es bei den Dreizehn Projekten geht, kann man auf der Webseite des Ministeriums nachlesen: "Um zukunftsweisende Ansätze für die Entwicklung einer neuen Generation von intelligenten Werkzeugen und Systemen, die eigenständig in der Lage sind, sich via Internet zu vernetzen, Situationen zu erkennen, sich wechselnden Einsatzbedingungen anzupassen und mit Nutzern zu interagieren."
Regeln für die Informationsgesellschaft
Was für machbarkeitsverliebte Techniker eine großartige Vision ist, entwickelt sich aber zum Albtraum der Datenschützer. Ein Beispiel dafür sind sogenannte "smart meter": Die braucht man für intelligente Stromversorgungsnetze, die in der Lage sind, die Spannungsschwankungen bei der verstärkten Nutzung regenerativer Energien aus Wind und Sonne auszugleichen.
Diese "smart meter" messen in Echtzeit den Stromverbrauch in der Wohnung und leiten die Daten an das "smart grid", das intelligente Stromnetz weiter. Allerdings lässt sich aus den präzisen Verbrauchsprofilen ableiten, was in den Wohnungen geschieht. Zum Beispiel, welche Fernsehprogramme oder Filme gesehen werden.
Deshalb fordert der Österreicher Andreas Krisch, Mitglied im Vorstand der Nichtregierungsorganisation "European Digital Rights", "smart meter" so einzustellen, dass sie nur alle 15 Minuten den aktuellen Verbrauch melden. Überhaupt sieht Datenschützer Krisch bei der aufziehenden technologischen Revolution eine gewaltige Gestaltungsaufgabe: Die Systeme sollten von vornherein "Datenschutz-freundlich aufgebaut" sein. Das heißt, der Datenschutz sollte schon bei der Planung eine zentrale Rolle spielen.
Chaos Computer Club Sprecher Frank Rieger fordert eine gesellschaftliche Diskussion über die Regeln in der Informationsgesellschaft. Es gehe nicht, sich allein von den technischen Entwicklungen treiben zu lassen.
Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Iveta Ondruskova