Ein Jahr nach Draghis Tabubruch
26. Juli 2013Es sah nach einer Routine-Rede vor Londoner Investment-Bankern aus, doch Ort und Zeit waren mit Bedacht gewählt. Denn unter den Zuhörern waren so prominente Gäste wie Prinz Charles, der britische Premier David Cameron und IWF-Chefin Christine Lagarde. Presse und Öffentlichkeit waren also garantiert, als EZB-Chef Mario Draghi am 26. Juli 2012 die entscheidende Botschaft verkündete: "The ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough."
"Im Rahmen ihres Mandats", diesen vorgeschobenen Halbsatz schneiden die Journalisten gerne weg, "ist die EZB bereit, alles zu tun, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir - es wird reichen", sagte Draghi. "Kurzfristig hat er damit erreicht, dass sich die Märkte beruhigt haben", sagt Thomas Mayer, ökonomischer Chefberater der Deutschen Bank zur DW. "Langfristig hat er damit aber auch eine Wende im Modell der Europäischen Währungsunion eingeleitet."
Ein Machtwort hilft
Wer gegen den Euro spekuliert, wird sich eine blutige Nase holen, das war Draghis erste Botschaft, und sie wirkte: Die Märkte beruhigten sich, die Zinsen für Staatsanleihen sanken auf ein erträgliches Maß, die massive Kapitalflucht aus vielen südlichen Ländern wurde eingedämmt. "Hätte Mario Draghi nichts unternommen, wäre die Gefahr einer Auflösung handgreiflich gewesen", sagt Michael Heise, Chefvolkswirt bei der Allianz, zur DW. "Und das hätte den deutschen Steuerzahler mehr gekostet als die Rettungs- und Unterstützungskredite, die in den letzten Jahren gegeben wurden."
Allerdings ist diese Ruhe an den Märkten teuer erkauft, sagen Kritiker - mit einem fundamentalen Strategiewechsel innerhalb der Europäischen Zentralbank. "Wenn bis dahin die erste Priorität der Einhaltung der Maastricht-Kriterien gegolten hat - also jeder Staat haftet letztendlich für seine eigenen Finanzen - dann gilt seit der Draghi-Rede: In erster Linie kommt der Euro und dann kommen die Bedingungen, unter denen der Euro emittiert wird", so Thomas Mayer zur DW.
Der Tabubruch
Erst kommt der Euro, und dafür ist die EZB notfalls bereit, Staatsanleihen zu kaufen, und wenn es sein muss, unbegrenzt. Das war die zweite Botschaft, die in Draghis Sätzen steckte. Und die ist für konservative Geldpolitiker schlichtweg unverdaulich. Eine Zentralbank hat sich um stabile Preise zu kümmern, basta. Wenn jetzt ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen aufgelegt wird, ist das ein Tabubruch, grenzt an Staatsfinanzierung, leistet der Inflation Vorschub und nimmt den Reformdruck von den südlichen Sünderstaaten.
"Wenn durch die Garantie der EZB der Druck auf die Reformen und der Zwang zur Konsolidierung der Staatsfinanzen nachlässt, dann werden die Skeptiker letztendlich recht behalten", fürchtet Mayer. Und danach sieht es im Moment aus: Griechenlands Regierung hangelt sich von einer hauchdünnen Parlamentsmehrheit zur anderen, Portugals Regierung wackelt, Spaniens Regierung ist angeschlagen, in Italien ist von Reformen wenig zu sehen, und Frankreich überlegt noch, ob es überhaupt Reformen angehen oder doch lieber weiter wursteln will wie bisher.
Ausputzer im Krisenfall
Wenn die Reformen kommen, dann könnte alles gut werden, sagt Thomas Mayer. "Wenn aber die Reformen nicht kommen, wenn die Staaten in der Rezession stecken bleiben, wenn sie die Hilfe der EZB einfordern, wird die EZB dann alles tun müssen, was notwendig ist, um den Euro in seiner gegenwärtigen Form zu erhalten." Und dann werde die EZB zum Ausputzer im Krisenfall und ein Selbstbedienungsladen für die Staaten der Euro-Zone, fürchtet er.
Ein Jahr nach der Draghi-Rede - was ist seitdem passiert? Nichts, sagen die Optimisten. Das Programm zum Ankauf von Staatsanleihen ist zwar vorbereitet, aber bislang noch nicht in Anspruch genommen worden. "Die EZB war die einzige Notenbank, die in den letzten 16 Monaten keine Staatsanleihen gekauft hat. Allein die Worte Draghis haben für Ruhe gesorgt. Das muss man als Erfolg sehen", sagt Michael Heise.Und es gibt ihn immer noch, den Euro und die 17, demnächst sogar 18 Euroländer. Für die Optimisten ist die Welt also in Ordnung.
Viel ist passiert, sagen dagegen die Skeptiker. Der Euro hat sich vom Fundament der Maastricht-Verträge entfernt, hat das Prinzip der unabhängigen, nur der Geldwertstabilität verpflichteten Zentralbank verraten. Der Reformdruck auf die Haushaltssünder hat nachgelassen, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die EZB die Notenpresse anwirft und maroden Staaten aus der finanziellen Patsche helfen muss. Der große Knall kommt noch, fürchten die Skeptiker.