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Das Klischee von Samba und Bossa

Greg Wiser/pz16. Mai 2014

Millionen Fußballfans wenden ihre Aufmerksamkeit zur WM nach Brasilien. Da soll brasilianischer Pop für Stimmung sorgen. Die Vielfalt der Musikszene bleibt Fremden oft verborgen.

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Brasilien Karneval Sao Paulo (Foto: EFE/SEBASTIÃO MOREIRA)
Bild: picture-alliance/dpa

Mit Beginn der Fußball-WM in Brasilien, tönen auch immer mehr brasilianische Klänge aus den Medien. Musikfreunde freuen sich vor allem auf den vom Karneval inspirierten Samba und den grazilen Bossa Nova eines Joao Gilberto.

Doch es verwundert nicht, dass auch frischer, massentauglicher Pop die Arenen begeistern soll. Die offizielle WM-Hymne heißt diesen Sommer "We Are One (Ole Ola)", aufgenommen von den US-Stars Pitbull und Jennifer Lopez mit Popstar Claudia Leitte aus Brasilien. Erstes Videomaterial der noch unveröffentlichten Nummer zeigt die umherspringende Lopez mit Karnevalstänzern und –trommlern. Es trifft das Klischee.

Lebendige Musikszene

Doch Brasiliens sehr lebendige Musikszene bietet natürlich viel mehr, vermittelt die für die Vermarktung im Ausland zuständige Musikbörse Brazil Music Exchange (BME). "Nur zehn Prozent unserer Musik ist im Ausland überhaupt bekannt", sagt Projektleiter David McLoughlin. Für die WM 2014 hat seine Organisation Aufnahmen zusammengestellt, die den Hörer an alle zwölf Austragungsorte der Meisterschaft führen und ihm das breite Schaffen regionaler Künstler vorstellen – vom brasilianischen Folk über Hip-Hop und Indie-Rock bis zum Dubstep. Mit dem Goethe-Institut und dem Berliner Radiosender radioeins will die BME unbekannte brasilianische Sounds auch in Deutschland zu Gehör bringen.

Popstars Pitbull und Claudie Leitte (Foto: EPA/Antonio Lacerda +++(c) dpa - Bildfunk)
Pitbull und Claudia LeitteBild: picture-alliance/dpa

Mit Tecno Brega in die Charts

Zum Beispiel ländliche Musica Caipira. McLoughlin vergleicht die auf volkstümlichen Caipira-Gitarren gespielte Musik mit "amerikanischem Blues aus dem Delta". Oder eine andere Musikströmung wie Tecno Brega ("kitschiger Techno"), während der brasilianischen WM prominent vertreten durch Gaby Amarantos. Für einen Hauptsponsor der WM hat sie den Titel "Todo Mundo" aufgenommen. Ihr Stil aus dem Schatten des Regenwaldes am Amazonas kam in den letzten Jahren im nördlichen Staat Para zu Popularität. Tecno Brega verwendet Elemente aus internationalen Hits von Stars wie Beyoncé oder Justin Timberlake und fügt billige (brega) Beats oder portugiesische Texte hinzu, bringt aber auch sehr originelle eigene Produktionen ein.

"Es ist ein neues Format und ein neues Marktmodell, weil wir selbst die Musik billig produzieren können", hatte Gaby Amarantos einmal erläutert. Tecno Brega ist inzwischen Teil einer millionenschweren brasilianischen Musikindustrie geworden, der internationale Trends aufgreift: Billige Produktionsmittel werden genutzt und die Musik dann günstig über digitale Verbreitungswege an die Hörer weitergegeben. Doch auf populären Tecno Brega-Massenveranstaltungen können die Musiker danach gutes Geld verdienen.

Gaby Amarantos (Foto: YASUYOSHI CHIBA/AFP/Getty Images)
Gaby AmarantosBild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Verbotene Favela-Beats

Ein ganz anderer Stil ist weniger populär - zumindest bei der brasilianischen Polizei und bei Ordnungshütern. Seit Jahren schon versuchen die brasilianischen Behörden, den sogenannten Funk Carioca zurückzudrängen. Sie verbinden die Musik mit wilden Partys in den Favelas, von denen, wie sie sagen, eine wachsende Kriminalität ausgehe. Die Stilrichtung vermischt in Miami geprägte Bass-Loops und Samples mit sexuell freizügigen und oft sehr aggressiven Texten. In Sao Paulo darf diese Musik nur auf Zimmerlautstärke gehört werden. Weitere Verbote wurden verhängt, so auch 2008 in Rio de Janeiro. Funk Carioca-Parties wurden brutal gestoppt. Es gab sogar Anschuldigungen, Ordnungshüter hätten prominente Vertreter der Szene ermordet. Aktivisten wie MC Leonardo werfen den Behörden undemokratisches Handeln und kulturelle Unterdrückung vor. Und auch BME-Musikexperte David McLoughlin sieht im Vorgehen der Polizei von Rio einen "Rassismus gegen Funk Carioca-Fans, die oft arm und farbig sind."

Rio de Janeiros Gouverneur Sergio Cabral schreckt nach Protesten der Straße gegen Regierungskorruption inzwischen vor weiteren Maßnahmen zurück. Erst müsse man die Gemeinschaften befrieden, sagte er in einer Botschaft auf Facebook. Ob das gelingt? Für Funk Carioca könnte das ein gutes Zeichen sein. Und für fußballbesessene Musikliebhaber aus aller Welt eine weitere, interessante Überraschung.

Protest in Brasilien (Foto: EPA/SEBASTIAO MOREIRA +++(c) dpa - Bildfunk)
Protest in RioBild: picture-alliance/dpa