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Das lange Leid des Jemen

Kersten Knipp5. August 2016

Seit fast 18 Monaten bekämpfen sich im Jemen aufständische Huthis und die von einer internationalen Koalition unterstützten Regierungstruppen. Auch Al-Kaida ist in dem Land präsent. Leidtragende sind die Zivilisten.

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Luftangriff auf die Stadt Tais (Foto: picture alliance/dpa/AA/A. Alseddik)
Bild: picture alliance/dpa/AA/A. Alseddik

Das Land grenzt an eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt - und zählt doch zu jenen Staaten, aus denen Nachrichten nur bedingt in die Weltöffentlichkeit finden. Das, so legt es ein jetzt bekannt gewordener vertraulicher Bericht der Vereinten Nationen nahe, machen sich sämtliche Parteien im Jemen-Krieg zunutze.

So sollen Kampfjets der von Saudi-Arabien angeführten Militärallianz Ende Mai gezielt ein Haus in einem Dorf im Süden des Landes bombardiert haben. Sechs Menschen seien dabei getötet worden, vier davon Kinder. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sei das Haus keine militärische Einrichtung gewesen. Die UN untersuchen drei weitere Fälle, in denen Kampfjets der Allianz Zivilisten getötet haben sollen.

Schwere Vorwürfe erheben die UN auch gegen die aufständischen Huthis. Die schiitischen Rebellen sollen ihre Kämpfer und ihre militärische Ausrüstung gezielt in der Nähe von zivilen Einrichtungen stationiert und diese als Schutzschilde missbraucht haben. Dadurch hätten sie die Zivilisten der Gefahr von Angriffen ausgesetzt. Insgesamt, so die UN weiter, seien in dem seit März 2015 andauernden Konflikt bislang rund 6400 Menschen getötet worden, darunter viele Unbeteiligte.

Haus in Sanaa nach einem Luftangriff der internationalen Koalition (Foto: picture-alliance/dpa/Y. Arhab)
Haus in Sanaa nach einem Luftangriff der internationalen KoalitionBild: picture-alliance/dpa/Y. Arhab

Mangelnder Friedenswille

Die Kriegsparteien selbst geben sich unbeeindruckt. Vor einer knappen Woche hatte die von der saudischen Allianz unterstützte Regierung des Jemen die Gespräche mit den Huthis abgebrochen. Diese hatten zuvor die Bildung eines "Obersten Rates" verkündet - de facto eine Gegenregierung, die die Legitimität der gewählten Staatsvertretung um Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi offen in Frage gestellt hätte. Daraufhin hatten auch die Huthis den Verhandlungen den Rücken gekehrt. Die von den UN vermittelte Vereinbarung sei nichts als ein "Medienspektakel", hatten die Rebellen erklärt.

Zwar sollen die in Kuwait geführten Gespräche an diesem Wochenende wieder aufgenommen werden. Wohin sie aber führen oder ob sie überhaupt irgendwohin führen, ist ungewiss.

Terror und ideologische Verhärtungen

Derweil leidet das Land weiter unter der Gewalt. Zwei nahe einer Kaserne explodierende Autobomben hatten am Dienstag im Südjemen sechs Soldaten in den Tod gerissen, mindestens zwölf weitere wurden verletzt. Die Regierung vermutet die Terrororganisation Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) hinter dem Anschlag. Drei Tage zuvor war in der im Westen des Landes gelegenen Stadt Tais eine Moschee aus dem 16. Jahrhundert in die Luft gesprengt worden. Hinter dem Anschlag werden radikale Salafisten vermutet. Welcher Gruppierung sie angehören, ist derzeit noch nicht geklärt.

Regierungstruppen sichern eine Militärbasis nach dem doppelten Autobombenanschlag (Foto: Getty Images/AFP/S. Al-Obeidi)
Regierungstruppen sichern eine Militärbasis nach dem doppelten AutobombenanschlagBild: Getty Images/AFP/S. Al-Obeidi

Nach knapp anderthalb Jahren Krieg hat sich das Land in Teilen auch ideologisch verhärtet. Bewohner der im Nordosten gelegenen Region Hadramaut hatten sich mit AQAP-Kämpfern zusammengeschlossen. Deren Bewegung war unter dem Namen "Söhne Hadramauts" bekannt geworden - eine Bezeichnung, die es Führern der Region leichter machte, sich auf ein Bündnis mit den Dschihadisten einzulassen. Motiviert wurden sie nicht allein durch religiöse Affinitäten, sondern auch durch die Hilfsgüter, die die Terroristen der Region zukommen ließen. Jüngst war das Bündnis aber an der mangelnden Bereitschaft der AQAP-Kämpfer gescheitert, die Macht mit den regionalen Führern zu teilen.

Humanitäre Katastrophe

Der Drei-Fronten-Krieg erschwert nicht nur eine politische Einigung. Er macht es auch wenig wahrscheinlich, dass sich eine der Parteien militärisch durchsetzen könnte. "Es wird immer offensichtlicher, dass keine der Kriegsparteien einen vollständigen Sieg wird erringen können", schreibt die Politikwissenschaftlerin Amal Nasser im Internetmagazin "Al-Monitor". "Die einzigen Verlierer des Krieges sind die Jemeniten selbst."

Tatsächlich droht im Jemen eine humanitäre Katastrophe. Bereits im Frühjahr 2016 hatte die Weltbank Alarm geschlagen. Import und Export seien weitgehend zum Erliegen gekommen. Das Bruttoinlandsprodukt sei um ein knappes Drittel geschrumpft, die Inflation liege bei rund 30 Prozent. Diese Entwicklung treffe ein Land, das ohnehin zu den ärmsten der arabischen Welt gehöre. Knapp 40 Prozent der Bevölkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze, 60 Prozent der unter fünfjährigen Kinder litten an Mangelernährung, ein Drittel von ihnen sei untergewichtig.

Die dramatische Situation habe sich durch den Krieg weiter verschärft: Über 21 Millionen Jemeniten - rund vier Fünftel der Gesamtbevölkerung - seien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Versorgung von 14 Millionen Menschen sei nicht garantiert. Und über 19 Millionen hätten keinen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Versorgung.

Demonstration weiblicher Huthi-Mitglieder in Sanaa (Foto: Reuters/K. Abdullah)
Demonstration weiblicher Huthi-Mitglieder in SanaaBild: Reuters/K. Abdullah

Angriffe mit "Defiziten"

Derweil geht auch der Deutungsstreit um Luftangriffe weiter, die die Koalition im Sommer des vergangenen Jahres auf ein von Zivilisten bewohntes Quartier in der Stadt Mokka am Roten Meer geflogen hatte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte den Angriff als "offenbares Kriegsverbrechen" bezeichnet. Daraufhin hatte die Koallition eine Untersuchungskommission eingesetzt, deren Team sich vorwiegend aus Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten zusammensetzt.

Die meisten Angriffe hätten den Vorgaben internationaler humanitärer Rechtsprechung entsprochen, gab die Kommission am Donnerstag dieser Woche bekannt. Zwei der inkriminierten Angriffe hätten allerdings auf "unpräzisen Aufklärungsdaten" beruht. Darüber sei es zu "Defiziten" bei den Attacken gekommen.