Langes Warten
18. September 2013Wie viel ist ein Menschenleben wert? Die Gewerkschaft IndustriALL Global Union hat eine klare Vorstellung: 25 Jahre Verdienstausfall für die Angehörigen der Todesopfer. Für Verletzte ein gestaffeltes Schadens- und Schmerzensgeld, je nach Grad und Dauer der Berufsunfähigkeit.
Mit diesen Forderungen ging die Gewerkschaft in ein Treffen mit Vertretern der Auftragsfirmen und der Regierung von Bangladesch in Genf. Das Ziel: Kompensationszahlungen für die Opfer des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes im April 2013 und des Feuers bei Tazreen Fashion im November 2012. Bei den beiden Katastrophen starben mehr als 1200 Menschen.
Streit um Verantwortung
"Wir haben nur die Unternehmen eingeladen, von denen wir auch wissen, dass sie im Rana Plaza waren. Manche von diesen Firmen haben gesagt, sie sind drei, vier, fünf Monate vorher mit der Produktion rausgegangen", erklärt die stellvertretende Generalsekretärin der globalen Gewerkschaft IndustriALL Monika Kemperle.
Doch nur 11 von 29 angeschriebenen Firmen kamen nach Genf. Auch die ebenfalls eingeladene Organisation der Textilarbeitgeber in Bangladesch, BGMEA (Bangladesh Garment Manufactures & Exporters Association), erschien nicht.
Nicht nur die Firmen, die in den beiden Fabriken produziert haben, sollen sich an den Zahlungen beteiligen, sondern auch die Fabrikbetreiber und die Regierung von Bangladesch. Sie sollen 55 Prozent der Forderungen bezahlen, die Auftraggeber insgesamt 45.
Die Regierung von Bangladesch hatte immerhin einen Vertreter geschickt, der an den Gesprächen teilnahm, die von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO moderiert wurden.
Formel nach ILO-Konvention
Die Schadensersatzformel für die Opfer der beiden Industriekatastrophen stammt aus der ILO-Konvention 121, die Schadensersatzleistungen für Arbeitsunfälle regelt. Zusammen mit der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung, Clean Clothes Campaign, hat die Gewerkschaft IndustriALL eine Forderung von rund 56 Millionen Euro für Rana Plaza und von rund 4,8 Millionen Euro für Tazreen für langfristige Entschädigungen errechnet. "Wir haben die ILO-Konvention als Grundlage herangezogen, damit nicht der Anschein erweckt wird, dass wir etwas Unmögliches wollen. Das steht den Menschen zu", betont Monika Kemperle.
Sie hofft auf einen Erfolg der Verhandlungen und auf einen Präzedenz-Fall: "Das ist natürlich auch ein Anhaltspunkt für andere Unfälle, dass wir hier diese Formel zur Anwendung bringen". Positiv sei, dass die Firmen, die an dem Treffen teilgenommen haben, grundsätzlich bereit seien, geregelte Schadensersatzleistungen an die Opfer zu zahlen. Demnächst solle ein Fonds gegründet werden, der dann für die Auszahlungen an die Opfer zuständig sei. "Wenn man sich einig ist, dann kann es relativ rasch passieren", betont die stellvertretende Generalsekretärin der IndustriALL Global Union.
Nothilfe statt Rechtsgrundlage
Die Überlebenden und die Angehörigen der über 1100 Todesopfer der Katastrophe im Rana Plaza warten seit fünf Monaten auf eine Regelung. Die irische Discountkette Primark hat zugesagt, den betroffenen Familien zunächst weitere drei Monatsgehälter zu zahlen. Vor Ort kümmern sich Hilfsorganisationen um die Opfer. Bisher aber gibt es keine rechtlich verbindlich gesicherten Leistungen, die den Menschen zustehen.
Die Opfer des Feuers bei Tazreen Fashion, bei dem 112 Menschen ums Leben kamen, warten bereits seit November 2012 auf eine verbindliche Kompensationsregelung. Dort hat die deutsche Textilkette C&A bisher auf freiwilliger Basis geholfen. Mittlerweile, so C&A auf Anfrage der Deutschen Welle, hat die eigene C&A-Stiftung mehr als eine Million Euro für Hilfsprogramme bereit gestellt. Die meisten Hilfsprogramme werden von der katholischen Hilfsorganisation Caritas vor Ort durchgeführt. Inzwischen seien mit Unterstützung von C&A 98 verletzte Arbeiter und 82 Waisenkinder medizinisch, sozial und psychologisch betreut worden, erklärt der Regionaldirektor der Caritas in Dhaka, Ranjon Francis Rozario.
Jedoch bleiben Primark und C&A die Ausnahme. Die meisten Unternehmen, die im Rana Plaza und in der Tazreen Fashion Fabrik produzieren ließen, sind nicht zu den Gesprächen in Genf erschienen. Auch mit einer Stellungnahme tun sich die meisten schwer. Von den 18 internationalen Firmen, die die Deutsche Welle im Vorfeld der Verhandlungen angeschrieben hatte, haben nur drei geantwortet.