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Warten auf das letzte Gefecht

Ivana Ebel (gh)12. Dezember 2013

Showdown im Amazonas: Im Reservat der Awá-Indios bahnt sich ein schwerer Konflikt zwischen Ureinwohnern und Holzfällern an. Nun will das brasilianische Militär die Eindringlinge aus dem Gebiet vertreiben.

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Brasilien Indianer
Bild: Survival/D. Pugliese

Die Männer erlegen ihre Beute mit Pfeil und Bogen. Die Frauen stillen nicht nur ihre eigenen Kinder, sondern auch Affenbabys. Obwohl wilde Affen eine wichtige Nahrungsquelle für die Indigenen vom Stamm der Awá darstellen, werden Primaten, die in einer Awá-Familie aufgewachsen sind und gestillt wurden, niemals gegessen. Selbst wenn sie zurück in den Wald ziehen, werden sie als Teil der Familie anerkannt.

Es gibt nur noch wenige Indigene, die so fern von jeglicher sogenannter Zivilisation leben. Im brasilianischen Amazonasregenwald, im Bundesstaat Maranhão, sind es noch rund 100 Ureinwohner. Sie gehören dem Stamm der Awá an, zu dem insgesamt 400 Personen zählen. Seit 2005 steht dieser Ethnie ein 1165 Quadratkilometer großes geschütztes Gebiet zu.

Infografik Karte Brasilien Awa-Reservat

Viel zu viel Platz für viel zu wenig Menschen, meinen Holzfäller und Viehzüchter, und lassen sich deshalb von ihren illegalen Rodungen nicht abhalten. Die "gesäuberten" Regenwaldflächen nutzen sie als Weideland. Rund 700 Personen halten sich nach Angaben der brasilianischen Indianerschutzbehörde Funai (Fundacão Nacional dos Indio) derzeit ohne Erlaubnis in dem für die Awá ausgewiesenem Reservat auf.

Greift das Militär ein?

Doch damit soll bald Schluss sein: Noch vor Ende des Jahres wollen laut Angaben der Funai die brasilianische Polizei und das Militär eingreifen, um die Eindringlinge aus dem Gebiet zu vertreiben. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Abzug nicht konfliktfrei verlaufen wird. Denn sowohl Holzfäller und Viehzüchter als auch Polizei, Indianerschützer und Indigene selbst sind bereit für einen bewaffneten Kampf.

"Die Holzfäller kommen und zerstören alles, und die Indios verlieren ihre Lebensgrundlagen", erklärt José Pedro dos Santos im Gespräch mit der DW. Santos arbeitet für die Einheit zum Schutz der Awá-Indigenen der Funai. Die Awá hätten nur ihre Pfeile und Bogen, die sie schon seit tausend Jahren anfertigten. "Sie brauchen unsere Hilfe", meint Santos.

Awa-Indianerin in der Hängematte (Foto: Survival).
Keine Berührungsängste: Awá-Frau mit einem Affen in der HängematteBild: Domenico Pugliese/ Survival

Bereits ein Drittel des Awá-Reservates ist entwaldet, so die Schätzung der Nichtregierungsorganisation "Survival International". "Im Gebiet der Awa wird stärker gerodet als in allen anderen Indianerreservaten im brasilianischen Amazonas", erklärt Sarah Shenker von "Survival International". Die Awá haben keine Möglichkeit mehr zu jagen, und deshalb wird es immer schwieriger für sie, zu überleben", so Shenker.

Flucht vor den "Weißen"

Die bevorstehende Auseinandersetzung ist der Höhepunkt der langen konfliktreichen Geschichte zwischen Ureinwohnern und Eindringlingen im brasilianischen Amazonas. Bevor die Awá in den 1980er-Jahren zum ersten Mal mit der sogenannten Zivilisation in Berührung kamen, zählte ihr Stamm noch über 1000 Menschen. Viele kamen bei den Maßnahmen zur Erschließung der Region ums Leben - zum Beispiel beim Bau von Eisenbahnlinien und Straßen - oder starben an Zivilisationskrankheiten, für die ihr Immunsystem nicht gewappnet war.

"Die Holzhändler bedrohen uns am Telefon, schicken uns Nachrichten, aber erscheinen nicht vor Ort", erklärt Funai-Mitarbeiter José Pedro dos Santos. "Selbst im Radio sind sie präsent und kündigen an, dass sie sich vom Militär nicht einschüchtern lassen werden. Sie wollen kämpfen", ist Santos überzeugt, der selbst mehrfach Todesdrohungen erhalten hat.

"Sie werden uns umbringen"

Seit 40 Jahren arbeitet der Ethnologe mit den Awá zusammen. Sein Funai-Stützpunkt liegt 20 Kilometer von der Gemeinde São João do Caru im Bundesstaat Maranhão entfernt. Auch er ist bewaffnet. "Die Typen werden uns umbringen. Und wenn sie uns umbringen, dann bringen sie auch die Awá um, daran habe ich keinen Zweifel", sagt dos Santos.

Im Jahr 2012 startete Survival International eine Kampagne, um auf die bedrohliche Situation der Awá aufmerksam zu machen. Unterstützt wird diese von prominenten Schauspielern und Fotografen. So veröffentlicht das Magazin "Vanity Fair" im Dezember 2013 eine 13-seitige Reportage mit Bildern des weltberühmten brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Laut Survival International sind die Awá das bedrohteste Volk der Welt.

Awa bei der Jagd (Foto: Survival).
In Gefahr: Das Jagdrevier der Awá wird immer kleinerBild: Domenico Pugliese/ Survival

Madalena Borges Pinheiro vom Indianermissionsrat, der bei der brasilianischen Bischofskonferenz angesiedelt ist, begrüßt die Kampagne von Survival International. "Wer sich unrechtmäßig Land angeeignet hat, muss das Reservat verlassen", fordert die Missionarin, die von den Awá liebevoll bei ihrem Kosenamen "Matakina" genannt wird. Ohne internationalen Druck werde es keine Lösung für den Konflikt geben. "Die Awá sind kein kriegerisches Volk", erklärt Madalena Pinheiro, "sie haben zu wenig politische Macht, um ihre Rechte einzufordern."

Menschenrechtspreis für Indigene

Auch in Deutschland machen die Konflikte zwischen Indigenen, Flussanwohnern, Holzfällern und Viehzüchtern im brasilianischen Amazonas immer wieder Schlagzeilen. So verleihte die Stadt Weimar in diesem Jahr (10.12.2013) ihren renommierten Menschenrechtspreis an den Indigenen Benki Piyãko vom Stamm der Ashininka aus dem brasilianischen Bundesstaat Acre.

Weimarer Menschenrechtspreis 2013 Benki Piyako Weimar Deutschland (Reuters).
Träger des Weimarer Menschenrechtspreises 2013: Der brasilianische Ureinwohner Benki PiyãkoBild: Moisés Moreira

Benki Piyãko nahm den Preis für alle in seiner Heimat bedrohten Indigenen entgegen. Denn wie bei den Awá im Maranhão stoßen auch bei den Ashininka in Acre die Interessen von Ureinwohnern, Viehzüchtern und Holzhändlern aufeinander. Um die Gegensätze zu überwinden, hat der indigene Aktivist Piyãko in Acre ein Ausbildungszentrum ins Leben gerufen, in dem indigene und nicht-indigene Bewohner der Region zu Forsttechnikern ausgebildet werden.