Das multikulturelle Seniorenheim
11. Mai 2004Zeit fürs Essen im Duisburger Seniorenheim "Haus am Sandberg": Die Bewohner sitzen in dem lichtdurchfluteten Atrium an ihren Tischen. Gleich können sie auswählen, was sie essen möchten. Heute steht auf dem Speiseplan: Züricher Geschnetzeltes mit Apfelmus oder Hähnchenbrust mit Karotten und Salzkartoffeln. Das Internationale Gericht ist ein Lammbraten mit Bauernsalat und Salzkartoffeln. Jeden Tag kocht Bernd Gergrath für die 100 Bewohner des Seniorenheims, und jeden Tag gibt es ein Gericht ohne Schweinefleisch - extra für die muslimischen Bewohner in seinem Haus. Denn das Duisburger Seniorenheim ist Deutschlands einzige multikulturelle Pflege-Einrichtung. Elf Türken, ein Russe, zwei Niederländer und ein Tunesier leben derzeit mit den deutschen Bewohnern unter einem Dach.
Die Idee dazu ist vor zehn Jahren entstanden und wurde zunächst als Pilotprojekt realisiert. Heute allerdings interessierten sich immer mehr Kollegen für die Besonderheiten seines Hauses, sagt Heimleiter Ralf Krause. Denn eines hat sich während der vergangenen Jahre gezeigt: Mit einem Migranten-Anteil von rund zehn Prozent ist die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland längst Realität geworden. Auch die Zuwanderer brauchen Hilfe und Unterstützung im Alter.
Verständigung zwischen Nationen
Das Verschwinden der klassischen türkischen Großfamilie sei dafür ein gutes Beispiel, berichtet Krause: "Die Familienstrukturen ändern sich. Die Kinder sind in Deutschland geboren. Die haben ihre Jobs und ziehen teilweise sehr früh aus. Von daher stehen viele türkische Familien jetzt auf einmal da, die Kinder sind nicht mehr im Haus und können nicht mehr helfen." Deswegen gehen auch immer mehr Migranten in ein Seniorenheim, wo sich die Mitarbeiter rund um die Uhr um die Alten kümmern.
Das Wichtigste für sein Altenheim sei, dass die Mitarbeiter die Muttersprache der Bewohner sprechen, so Krause. Denn gerade Alzheimer-Patienten vergessen im Verlauf der Krankheit besonders schnell ihre Deutschkenntnisse und können schließlich nur noch in ihrer Muttersprache reden. Ein Drittel des Personals im Duisburger Seniorenheim kommt deswegen aus einem anderen Kulturkreis.
0815 reicht nicht
Als einziges Seniorenheim in Deutschland hat das Haus eine christliche Kapelle und eine muslimische Moschee. Zu bestimmten Festen wie dem muslimischen Zuckerfest kommen schon mal mehrere Hodschas - also Lehrer - ins Haus. Ansonsten aber, so gibt Krause zu, wird die Moschee selten genutzt. Überhaupt, so der Heimleiter aus der Erfahrung der letzten Jahre, sei die Moschee keine Bedingung für eine multikulturelle Einrichtung. Da die meisten Bewohner krank und gebrechlich sind, beteten sie sowieso in ihrem Zimmer, das sei auch bei den deutschen Bewohnern so.
Für eine multikulturelle Pflegeinrichtung sei stattdessen viel wichtiger, das richtige Personal zu finden. "Ich muss Leute finden, die das nicht ablehnen, sondern die interessiert sind an anderen Kulturen. Die interessiert daran sind, neue Sachen zu entdecken." Und die bereit sind, sich auf die unterschiedlichen Wünsche der Bewohner einzustellen.
Schafskäse und Atatürk
Wenn die 90-jährige Perihan Arcak, in deren Zimmer überall Fotos von Kemal Atatürk hängen, unbedingt mal wieder Schafskäse, Oliven und Fladenbrot essen möchte, dann wird jemand in einen türkischen Supermarkt geschickt. Und wenn der russische Bewohner mit einem russischen Arzt sprechen möchte, dann wird auch das ermöglicht. Krause arrangiert diese Alltäglichkeiten, weil sein therapeutisches Rezept lautet: Jeden einzelnen Bewohner mit seinen individuellen Bedürfnissen ernst zu nehmen und offen und flexibel zu reagieren. Wenn sich dieser Ansatz auch in anderen Heimen durchsetzen würde, dann könnten auch sie, da ist sich Krause sicher, besser auf die Bedürfnisse der Zuwanderer reagieren.