Das neue "Image" der Migranten
12. Januar 2013
"Wie kommt es denn, dass du so gut Deutsch sprichst?" Diese Frage hat die Journalistin und TV-Moderatorin Elif Senel immer wieder zu hören bekommen, obwohl sie in Deutschland geboren ist. "Allerdings habe ich da einen Unterschied zwischen den Generationen beobachtet: Nur Ältere fragen so etwas, denn für jüngere Menschen in Deutschland ist es normal, dass jemand mit einem nicht-deutsch klingenden Namen dazugehört", sagt Elif Senel. Ihre Eltern sind Anfang der 1970er Jahre aus der türkischen Region Anatolien in die Bundesrepublik gezogen. Elif Senels Vater gehörte zu den sogenannten "Gastarbeitern", die seit den 50er Jahren angeworben wurden, und arbeitete als Dreher.
Nach der deutschen Wiedervereinigung kamen besonders viele Spätaussiedler nach Deutschland - also Angehörige von deutschen Minderheiten, die davor im Ausland gelebt hatten. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind sehr viele überdurchschnittlich qualifizierte Einwanderer nach Deutschland gezogen: 21 Prozent der Zuwanderer hatten im Jahr 2009 eine hochspezialisierte Fach- und Führungsfunktion, meldet eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft. "Weil zunehmend Hochqualifizierte nach Deutschland kommen, rückt das Bild des gebildeten Einwanderers in den Vordergrund und überschattet das alte Bild des niedrig qualifizierten Gastarbeiters", meint Migrationsexperte Klaus Bade. Bis zum 1. Juli hat er den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geleitet.
Positives Bild – bis auf einzelne Gruppen
"Insgesamt hat sich das Bild von Migranten zum Positiven gewendet, mit Ausnahme einzelner Gruppen", erklärt Klaus Bade. Denn in Bezug auf Migranten habe es schon immer eine "Feindbildkette" gegeben: "In den 50er Jahren war es der Italiener, der den deutschen Mädchen hinterher pfeift, in den 80er und 90er Jahren waren es die kriminellen Osteuropäer, heute sind es vorwiegend Roma aus den neuen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien, die nach Deutschland kommen." Die Ressentiments der Bevölkerung gegen diese Roma würden auch "zu einem verzerrten Bild von Rumänen und Bulgaren führen", obwohl aus diesen Ländern auch sehr viele Hochqualifizierte nach Deutschland kommen.
Eine weitere Ausnahme vom allgemein positiven "Image" der Migranten in Deutschland seien Muslime, kritisiert Bade: "Publikationen wie das Buch Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin betreiben eine anti-islamische Agitation, indem sie unterstellen, Muslime seien gefährlich und würden zum Fundamentalismus neigen."
Die Debatte um das umstrittene Sarrazin-Buch, in dem von einer gescheiterten Integration die Rede ist, spiegelt sich auch in den Umfrageergebnissen des "Migrationsbarometers" wieder, einem Jahresgutachten, das vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration erstellt wird. "Ende 2009 - also noch vor der Debatte - meinten die meisten Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, dass das Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten vorwiegend positiv sei", erklärt Bade. "Nur ein Jahr später haben wir einen deutlichen Rückgang der Integrations-Optimisten beobachtet, von beiden Seiten." Doch auch dieser Trend ist 2011 wieder zurückgegangen. "Das zeigt, dass die Einwanderungsgesellschaft viel belastbarer ist, als die Politik das glaubt - sie lässt sich durch aufgeregte Diskussionen nicht irritieren." Diese Umfragen zeigen auch, dass Personen mit und ohne Migrationshintergrund ähnliche Ansichten haben: zum Beispiel sind 60 Prozent von beiden Gruppen dafür, dass mehr Hochqualifizierte nach Deutschland zuwandern. 70 Prozent der Befragten aus beiden Gruppen wollen sich dafür einsetzen, dass Integration gelingt.
"Migranten treten selbstbewusster auf"
Doch allein schon die klassische Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, so wie sie in Gesellschaft, Politik und Medien oft getroffen wird, ist problematisch, meint Migrationsforscher Paul Mecheril. "Um in Deutschland eine echte Willkommenskultur zu etablieren, ist ein größeres Selbstverständnis dafür nötig, dass Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Aussehens hier leben", sagt der Professor für interkulturelle Bildung an der Universität Oldenburg. Denn allein schon Begriffe wie "Migrationshintergrund" seien eine "Zuschreibungspraxis von Fremdheit."
Erste Ansätze für eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang mit Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln hat die Journalistin Elif Senel im deutschen Fernsehen beobachtet: "In Serien und Doku-Soaps ist immer wieder ein iranischer Arzt oder ein türkischer Makler zu sehen, ohne dass seine Herkunft in irgendeiner Weise zum Thema wird."
Alles in allem habe Deutschland als Einwanderungsgesellschaft in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht, das Bild der Migranten sei im Allgemeinen positiver als früher, meint Elif Senel. "Das liegt auch daran, dass Migranten selbstbewusster auftreten. Meine Eltern und viele andere Gastarbeiter wollten früher unauffällig sein und waren einfach dankbar, dass sie überhaupt in Deutschland leben dürfen", erinnert sich die TV-Moderatorin. "Doch zu viel Dankbarkeit und Bescheidenheit halten einen davon ab, sich in die neue Gesellschaft einzubringen, diese mitzugestalten. Wer aber selbstbewusst auftritt, wird auch eher respektiert."