Das neue Leben nach dem Burnout
4. Oktober 2019Tschok - das war der letzte Pfeil im Köcher. Christoph Polder braucht nur sieben, acht Schritte, dann ist er bei der Zielscheibe auf der anderen Seite des Schotterwegs mitten im Steigerwald, nördliches Bayern. "Gar nicht so schlecht, alles ins Bunte." Er freut sich: Keine Wettkampfdistanz, aber ein Ziel dass er sich selbst gesteckt hat.
So wie er sich auch dieses Leben ausgesucht hat. Weit weg von dem anderen, das mit einem Burnout geendet hat. Pfeil, Bogen und Campingmobil statt internationaler Bau-Projekte und 400-PS-Jaguar.
Er packt sein Sportgerät zusammen und geht um den 7-Meter-Wagen herum, steigt in den Innenraum. Dort hantiert der schlanke Mann am kleinen Herd, bis die kleine Flamme faucht. Polder ist Mitte 30 und hat einen entspannten glatten Gesichtsausdruck, so als ob er sein Leben schnell beim Teekochen nebenher erzählen könnte. Aber man setzt sich lieber an den schmalen Tisch im Camper und wartet, bis er den Tee gekocht hat, denn die Geschichte ist ziemlich krass.
Flucht aus der Familie
"Aufgewachsen bin ich in einer Sekte und da gab es ziemlich jeden Tag Züchtigungen", holt er aus, als er nach seinem Weg in den Burnout gefragt wird. Er hat drei ältere Brüder. Ein ständiger Kampf um Aufmerksamkeit. Mit 16 zieht er aus. "Bis auf ein paar wenige Ausnahmen habe ich meine Eltern auch nicht wiedergesehen."
Er arbeitet auf dem Bau und lebt in Wohncontainern. Bis ihn eines Tages ein älterer Kollege dazu bringt, mehr aus sich zu machen. "'Du bist doch intelligent und hast auf dem Bau nichts verloren', hat der Ekrem gesagt", erinnert sich Polder. Also studiert er Ingenieurwesen und kommt nach seinem Abschluss bei einem internationalen Konzern unter.
Viel Arbeit, keine Freunde
Ein Aufstieg, der alles reparieren soll, was in der Kindheit kaputt gegangen ist. "Du kriegst dann irgendwann das Schulterklopfen, das dir immer gefehlt hat, danach war ich süchtig." Polder ist strukturiert, sicher in seinen Analysen, schnell und willig.
"Der erste Chef war noch so ein väterlicher Mentor-Typ", sagt Polder, der nächste sei dann einer gewesen der ganz genau gewusst hat, welche Knöpfe er bei ihm drücken musste für eine Top-Performance. Und Polder wollte noch weiter kommen, als ob der Job nicht schon so genug Ressourcen verschlingt. Er will einen Master in Projektmanagement Bau und Immobilien. "Da bin ich auf 60 und 80 Stunden die Woche gekommen und habe noch nebenbei studiert."
Er verdient als Projektleiter 100.000 Euro im Jahr, hat keine Zeit für Freunde, kein Leben außerhalb der Firma. Aber dort kann er sich Achtung und Anerkennung erarbeiten. Er kompensiert die persönliche Leere mit noch mehr Einsatz. Polder nimmt ab, wird krank und er merkt es nicht mal.
Bis er nach einem leichten Autounfall für drei Tage krank geschrieben wird. Ein verordneter Stillstand in dem er merkt, dass ihn nur die Bewegung aufrecht gehalten hat. Seine Ärztin diagnostiziert einen Burnout."Die Diagnose heißt dann F 48.0", präzisiert Polder. Er war immer ein ganz genauer Typ.
Sabbernd auf der Couch
Polder presst seine Handflächen auf die Tischplatte, als er sich an seinen Absturz erinnert. Wie er sich nicht mehr aufraffen konnte, zur Arbeit zu gehen. "Ich habe 18 Stunden geschlafen, danach lag ich stundenlang mit dem Gesicht nach unten auf der Couch und habe nur vor mich hingesabbert."
Polder sucht Hilfe bei Ärzten und Heilern. Drei Jahre ist es her, dass er seinen Job verlassen hat. Aber sich selbst kann er nicht so schnell zurück lassen. Wenn er etwas macht, dann will er das mindestens gründlich tun.
"Ich habe mich selbst komplett geändert, ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch. Ich habe ja früher nur gearbeitet und jetzt mache ich ja genau das Gegenteil", betont er. Er tauscht seinen Sportwagen für dieses Wohnmobil ein und zieht seither von Parkplatz zu Parkplatz, am liebsten ist er in den Wäldern. Ab und zu verdient er etwas als Bau-Berater.
"Ich habe mich selbst geheilt", betont der Ex-Manager. Auf einem Bord des Campingmobils stehen Dutzende von Döschen und Gläschen mit Folsäure, Vitaminen, Mineralien. "Ich bin gesund, das könnte ich jetzt eigentlich wegschmeißen", sagt er und winkt ab; über diese Hilfsmittel redet er nicht gerne.
Ein neues Leben als Ratgeber-Autor
Christoph Polder hat jetzt eine neue Mission. Die hat sicher auch was mit der Suche nach Anerkennung zu tun. Er schreibt jetzt Bücher: Ratgeber für Studenten und für Bauherren. Zuletzt die eigene Geschichte von Untergang und Rettung. "Ich war so unzufrieden mit der Literatur über Burnout, weil es da immer darum ging, mit den und den Symptomen zu dem und jenem Arzt zu gehen", beschreibt er seine Motivation. "Ich wollte zeigen, wie man sich selbst aus dem Sumpf zieht!"
Das Buch hat er in drei Monaten runtergetippt und es bei einem Print-on-Demand-Verlag veröffentlicht. Er bleibt ehrgeizig, fleißig und strukturiert - auch in seinem neuen Leben. "In sechs Schritten aus dem Burnout", verspricht sein Buch in der Unterzeile. Seine Erholung ist noch sehr frisch - es könnte spannend sein zu sehen, ob ihn die sechs Schritte und das Leben im Wald weit genug von dem alten Christoph Polder weggebracht haben, der sich in den Burnout getrieben hat.