Das Phänomen Cristiano Ronaldo
22. Januar 2021"Ein Talent vom anderen Stern" sei Cristiano Ronaldo, twitterte Sporting Lissabon, "der beste Torschütze in der Geschichte des Fußballs". Letzteres ist umstritten, ersteres wohl kaum. Am Mittwoch führte der portugiesische Superstar seinen Verein Juventus Turin zum 2:0-Erfolg im italienischen Supercup gegen Pokalsieger SSC Neapel. Es war bereits Ronaldos 33. Titel. Doch mehr als darüber wurde über sein Tor in der 64. Minute geredet, seinen 760. Treffer in einem Pflichtspiel.
Rekord sagen die einen, zum Beispiel Ronaldos erster Profiverein Sporting Lissabon. Kein Rekord sagen die anderen, wie der tschechische Fußballverband: Josef "Pepi" Bican, in vielen Listen mit 759 Pflichtspieltoren geführt, habe in Wahrheit 821 Mal getroffen. Der frühere österreichische und tschechoslowakische Nationalspieler war 2001 gestorben. Bican hatte bis 1956 Fußball gespielt - zu Zeiten, in der Statistiken noch nicht so genau gepflegt wurden wie heutzutage.
Unstillbarer Torhunger
Ronaldo selbst ging in den sozialen Netzwerken gar nicht auf seinen vermeintlichen Rekord ein. "Ich bin sehr glücklich über meinen vierten Titel in Italien", twitterte der Offensivspieler, der am 4. Februar seinen 36. Geburtstag feiert. Ein Rekord mehr oder weniger, was soll's? Dass er ein absoluter Ausnahmekönner ist, wird niemand bestreiten. Erst kurz vor dem Jahreswechsel wurde Ronaldo in Dubai zum weltbesten Fußballer des vergangenen Jahrzehnts gekürt - eine weitere Ehrung in einer schon sehr langen Liste.
Dennoch lohnt der Blick auf die Torstatistik. Schließlich erzielte Ronaldo die insgesamt 760 Pflichtspiel-Tore für seine Vereine Sporting Lissabon (5), Manchester United (118), Real Madrid (450) und Juventus Turin (85) sowie für die portugiesische Nationalmannschaft (102) in nur 1040 Spielen – im Schnitt traf er also 0,73 Mal pro Partie. Was für eine Quote! Und er bekommt den Hals nicht voll. "Cristiano Ronaldo ist der ehrgeizigste Spieler, den ich je getroffen habe", sagte einmal Xabi Alonso, einst Teamkollege bei Real. "Er hat den Willen und den Hunger, in jedem Spiel zu treffen."
Fünfmal Champions-League-Sieger, fünfmal Weltfußballer
Geboren wurde Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro 1985 auf Madeira. Heute trägt der internationale Flughafen der portugiesischen Insel im Atlantik den Namen ihres berühmtesten Sprosses. Ronaldos außergewöhnliches Talent wurde früh entdeckt. Schon mit zwölf Jahren verließ er sein Elternhaus und trat in die Nachwuchsakademie des Traditionsvereins Sporting Lissabon ein. Der Tag, als er seine Eltern verließ, sei "der traurigste und gleichzeitig der schönste in meinem Leben" gewesen, erinnerte sich Ronaldo später. Schnell buhlten Topvereine aus ganz Europa um den 1,87 Meter großen, treffsicheren Angreifer. Das Rennen machte schließlich 2003 Manchester United. Sechs Jahre lang blieb Ronaldo bei dem Premier-League-Klub, gewann mit ihm drei englische Meisterschaften und die Champions League.
2009 wechselte der Portugiese für die damalige Rekordablösesumme von 94 Millionen Euro zu Real Madrid. Neun Jahre lang spielte Ronaldo für den spanischen Traditionsklub und war der König unter den "Königlichen". Er führte das Team zu zwei spanischen Meistertiteln und vier Champions-League-Triumphen, drei davon in Serie (2016-2018). Während dieser Zeit holte er auch seinen von ihm heiß ersehnten ersten Titel mit der portugiesischen Nationalmannschaft: bei der Europameisterschaft 2016. Insgesamt fünfmal wurde Ronaldo zum Weltfußballer des Jahres gewählt. Zwischen seiner ersten Ehrung 2008 und seiner vorerst letzten 2017 stellte sich dabei nur eine Frage: Wird es Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo?
Nach der WM 2018 wechselte Ronaldo für 112 Millionen Euro zu Juventus Turin. Einige unkten, das sei doch viel Geld für einen 33-Jährigen, der über seinen Zenit hinweg sei. Doch Ronaldo strafte die Skeptiker Lügen. Juve wurde 2019 und 2020 italienischer Meister -– auch weil der portugiesische Superstar weiter zuverlässig das lieferte, was von ihm erwartet wurde: Tore.
Ronaldo polarisiert
Glamour gibt es noch obendrauf. CR7 - zusammengesetzt aus den Initialen seines Namens und seiner Rückennummer - ist nur nicht ein Synonym für Ronaldo, sondern auch eine eingetragene Modemarke. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, sein Vermögen wird auf 430 Millionen Euro geschätzt.
Auf dem Platz wirkt Ronaldo arrogant, mit seinem oft divenhaften Auftreten, seinen stets gegelten Haaren, seinem breitbeinigen Stand vor Freistößen. Abseits des Scheinwerferlichts soll der vierfache Vater jedoch ganz anders sein: freundlich und zugänglich. Das versichern unisono aktuelle und ehemalige Teamkollegen.
Zu seinen Zeiten bei Real befeuerte Ronaldo sogar sein Image des Fußballschnösels: Die gegnerischen Fans, so der Superstar, beschimpften ihn, "weil ich hübsch, reich und ein großartiger Fußballer bin, eine andere Begründung habe ich nicht. Sie sind einfach neidisch." Daran hat sich bis heute nichts geändert. So ergeht es eben einem Talent vom anderen Stern, das Tore liefert und liefert und liefert.