Das Schweigen des Rainer Brüderle
29. Januar 2013Der Mann schweigt und daran will er auch nichts ändern. "Rainer Brüderle hat gesagt, dass er für sich entschieden hat, dass er den Vorgang nicht öffentlich kommentieren will. Darin haben wir ihn unterstützt und wir haben unseren großen Respekt dafür zum Ausdruck gebracht, dass, wenn das sein Wunsch ist, wir es genauso halten." Mit diesen Worten fasst FDP-Generalsekretär Patrick Döring zusammen, was der Bundestags-Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat für den Bundestagswahlkampf, Rainer Brüderle, in der gerade beendeten FDP-Präsidiumssitzung in Berlin zu den gegen ihn erhobenen Sexismus-Vorwürfen gesagt hat.
Eine knappe Woche ist vergangen, seit die "Stern"-Journalistin Laura Himmelreich dem 67-jährigen in einem Artikel vorgeworfen hat, vor gut einem Jahr an einer Hotelbar zudringlich geworden zu sein. Der Artikel hat hohe Wellen geschlagen. Landauf, landab wird nun nicht nur darüber diskutiert, wie schmal der Grad zwischen einem charmanten Kompliment und einer anzüglichen Bemerkung sein kann. Unter dem Schlagwort "Aufschrei" haben inzwischen auch Zehntausende ihrem Ärger über den alltäglichen Sexismus im Berufsleben auf dem Kurznachrichtendienst Twitter Luft gemacht.
Die FDP-Spitze steht hinter Brüderle
Rainer Brüderle hingegen schweigt. Das ist ungewöhnlich für einen Politiker, der sonst nur selten wortlos an einem Mikrofon vorbeigeht. Allerdings machte der 67-jährige bei seiner Rede auf dem Neujahrsempfang der nordrheinwestfälischen FDP am Sonntag nicht den Eindruck, als sei er besonders zerknirscht. "Sie können uns schlagen, sie können uns beschimpfen, sie können uns mit Dreck bewerfen, aber sie können uns unsere Überzeugung und unsere Selbstachtung nicht nehmen", sagte er und aus diesem Satz kann man durchaus mehr heraushören, als nur ein Bekenntnis zu liberaler Politik.
Mehr will Brüderle aber nicht sagen und schon gar nicht will er sich in irgendeiner Form bei der "Stern"-Journalistin entschuldigen. Eine Entscheidung, die von der politischen Führung der FDP mitgetragen wird. "Wenn man sich als freier Demokrat an die Spitze der Partei stellt, dann gibt es für die politische Konkurrenz, in einigen Redaktionsstuben, aber auch in der politischen Arena kein Pardon mehr", sagte der frühere FDP-Parteivorsitzende und Bundesaußenminister Guido Westerwelle auf dem Neujahrsempfang in Düsseldorf. Um so wichtiger sei es, dass "diejenigen, die sich kennen, diese Zerrbilder, die in den Medien verbreitet werden, nicht durchgehen lassen".
Angriff ist die beste Verteidigung, für diese Marschrichtung scheint sich die Führungsspitze der Partei entschieden zu haben. Das "Zerrbild" bemüht auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring am Montag nach der Präsidiumssitzung seiner Partei. Brüderle sei "ein honoriger und angesehener Mann", der dem Land viele Jahrzehnte diene. Die Berichterstattung sei unfair und die Debatte werde bewusst parteipolitisch instrumentalisiert. "Ich lege Wert darauf, dass niemand von uns an diesem besagten Abend dabei war."
Sind "Herrenwitze" Normalität?
Dass es in Deutschland "Belästigungen" gebe, das bestreite niemand, aber es gebe durchaus auch "unterschiedliche Wahrnehmungen". Döring spricht von Missverständnissen. "Ich glaube, dass manches, was Rainer Brüderle und auch ich charmant, oder scherzhaft oder wie auch immer empfinden, dass das vielleicht beim Gegenüber anders ankommt."
Eine Bemerkung, die der grünen Parteichefin Claudia Roth die Zornesröte ins Gesicht treibt. Ihre Partei werde es nicht zulassen, "dass diese Realität zur Normalität wird, dass man so tut, als handle es sich um Kavaliersdelikte, um Lappalien von Männern, die ihrerseits nie Diskriminierung erfahren haben", so Roth am Montag nach den Gremiensitzungen der Grünen.
Die Sexismus-Debatte ist Roth so wichtig, dass sie das Thema auf der Pressekonferenz als erstes erwähnt. "Wir werden diese Debatte weiter führen, weil sie eine wichtige und nötige Auseinandersetzung ist", sagte die grüne Parteichefin am Mittag. Dabei gehe es nicht um Zeitungsartikel oder "Einzelpersonen wie Herrn Brüderle", sondern darum, sich mit dem alltäglichen Sexismus auseinanderzusetzen, "der nun wirklich ein flächendeckendes Problem ist".
Alle werden vorsichtiger
Doch wird die Debatte auch den Umgang zwischen Politikern und Journalisten verändern? Es ist ein Verhältnis, das von Nähe lebt. Interessant wird es immer erst jenseits der offiziellen Pressekonferenzen. Er werde, so hat Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki erklärt, in Zukunft Gespräche an Hotelbars vermeiden, wenn Journalistinnen dabei seien. "Denn natürlich rutscht einem da schon mal eine lockere und nicht gelungene Bemerkung heraus", so Kubicki am Sonntagabend in der ARD. "Jetzt muss ich damit rechnen, dass das gegen mich verwendet wird."
Über Konsequenzen spricht auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Wenn es nicht mehr möglich sei, Gespräche außerhalb von Pressekonferenzen zu führen, ohne dass der Journalist anschließend die Vertraulichkeit breche, "dann werden solche Formate nicht mehr stattfinden", so Döring. "Und auf dieses Maß der Vertraulichkeit zielen ja auch Reisebegleitungen und Begleitungen in Fahrzeugen ab." In den Ohren mancher Journalistin muss das wie eine Drohung klingen.