Abrüstung
20. Juli 2007Seit Mitte Juli leitet der brasilianische Diplomat Sérgio de Queiroz Duarte die neue Abteilung für Abrüstung der Vereinten Nationen. Er berät UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Fragen des Abbaus von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen. 1999 bis 2000 war er Vorsitzender des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und 2005 leitete er die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag.
Kein Rückzug Moskaus
Diese Erfahrung kommt ihm jetzt zugute, wenn er sich mit aktuellen Rüstungsfragen auseinandersetzt, wie dem umstrittenen Atomprogramm des Irans, der Aussetzung des KSE-Vertrages durch Russland, dem US-Raketenschild in Osteuropa oder Brasiliens Plänen für den Bau eines Atom-U-Bootes.
Russland habe seine Teilnahme am KSE-Vertrag lediglich suspendiert, sagt er, das sei aber kein Rückzug: "Das beunruhigt natürlich etwas. Die europäischen Länder haben sich bisher sehr gut verstanden, einschließlich Russlands. Und es ist nötig, dass sie sich weiter gut verstehen, damit wir weiter Frieden auf diesem Kontinent haben", so Duarte im DW-Interview.
Der Vertrag über die Konventionellen Streitkräfte in Europa regelt, wie viele Soldaten wo stationiert werden dürfen. Russland möchte sich nicht mehr daran halten, bis der Westen eine 1990 ausgehandelte, überarbeitete Fassung des Abkommens umsetzt. "Ich glaube aber nicht, dass sich dies zum einem Fall für Truppenmobilisierung entwickeln wird", so der Chef der UN-Abrüstungsabteilung. Den Konflikt zwischen Russland und den USA wegen des geplanten US-amerikanischen Raketenschilds in Osteuropa betrachtet Duarte als bilaterale Angelegenheit. "Russland sieht das als Bedrohung für seine eigene Sicherheit: Wir hoffen, dass beide Länder das Problem lösen können."
Die Atomambitionen Irans und Brasiliens
Im Streit um das iranische Nuklearprogramm setzt der Brasilianer auf versöhnliche Töne: "Die Urananreicherung verletzt den Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht. Eine Verletzung wäre dann gegeben, wenn daraus eine Waffe würde. Das Problem ist, dass die internationale Gemeinschaft kein Vertrauen in die iranische Urananreicherung hat. Es wäre wichtig, dass der Iran der internationalen Gemeinschaft eine absolute Sicherheit darüber gibt, dass sein Programm friedliche Ziele hat", so Duarte.
Die Entwicklungen in seinem Heimatland sieht er hingegen als unbedenklich an: Anfang Juli kündigte Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva neue Investitionen in ein Atomkraftwerk und den Bau eines Atom-U-Bootes an. Lulas Pläne wurden sogar mit den Atomambitionen von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad verglichen.
"Brasiliens Nuklearprogramm, auch der militärische Teil, ist friedlich und steht 100-prozentig unter Aufsicht der IAEA. Das U-Boot ist ein Motor, keine Waffe. Jedes Land versucht die Technologie zu beherrschen, um nicht von anderen abhängig zu werden. Ein Grund für die Wiederaufnahme des brasilianischen Nuklearprogramms ist die Notwendigkeit des Landes, sich zu verteidigen; der andere ist, die Technologie zu beherrschen, um nicht von außen abhängig zu sein", sagte Duarte.
Eine Welt ohne Waffen
Zurückhaltend äußerte sich der Brasilianer über die Stilllegung der Atomanlagen Nordkoreas, die am Mittwoch (18.7.) von der IAEA bestätigt wurde: "Es handelt sich nur um die Stilllegung eines Reaktors, aber man weiß noch nicht, welche Schritte bis zur vollständigen nuklearen Abrüstung folgen werden. Es ist ein Fortschritt für eine turbulente Region, für ein geteiltes Land, dass sich bis heute nicht versöhnen konnte. Es ist ein wichtiger Schritt für den Frieden auf dem asiatischen Kontinent und für eine eventuelle Wiedervereinung Koreas."
Weltweit gebe es noch etwa 10.000 Atomsprengköpfe. Einige Länder mit Nuklearwaffen sollten weiterhin beobachtet werden: "Es gibt Länder wie Indien, Pakistan und Israel, die Nuklearwaffen besitzen und den Atomsperrvertrag nicht ratifiziert haben. Indien und Pakistan haben zusammen 300 bis 400 Atomsprengköpfe, und Israel schätzungsweise 200, auch wenn das Land dies weder bestätigt noch dementiert", so Duarte.
Obwohl die globale Atomwaffenzahl abnehme, setze sich der Wettlauf um Waffen fort. "Es gibt einen qualitativen Wettlauf um immer effizientere Waffen. Nuklear-, B- und C-Waffen bilden den dramatischen Teil des Rüstungswettlaufes. Aber wir dürfen auch nicht die kleinen Waffen vernachlässigen, die in Entwicklungsländern in Afrika und Lateinamerika die meisten Todesopfer fordern", so Duarte.
Ideal wäre es, so der oberste Abrüster der UN, in einer Welt ohne Waffen zu leben. "Wichtig für die Menschheit ist, dass sich alle Länder davon überzeugen, dass Sicherheit auch ohne Waffen gewährt werden kann. Wenn sich diese Einsicht durchsetzt, dann sind wir auf dem Weg in eine friedliche Welt."