"Das Interesse wachhalten"
29. Juli 2009DW-WORLD.DE: Herr Koch, wie erklären Sie sich diese enorme Faszination, die der Dalai Lama auf uns Europäer ausübt?
Ich glaube, dass sich die Faszination aus sehr unterschiedlichen Quellen speist, sich aber für viele Menschen ergänzt. Das ist zum einen die Suche auch nach religiöser Orientierung, die für andere Menschen durchaus auch jenseits des Christentums liegen kann. Ich sehe das bei vielen, die jetzt auch den religiösen Vorträgen, die der Dalai Lama in der Frankfurter Commerzbank-Arena halten wird, folgen wollen. Es ist sicherlich zum Zweiten die Faszination eines Menschen, der für die Identität und das Überleben seines Volkes – im Gegensatz zu so vielen anderen auf der Welt – ausschließlich mit friedlichen Mitteln kämpft, und es ist zum Dritten ganz sicherlich auch schlicht die Persönlichkeit, die sehr, sehr viele Menschen in ihren Bann zieht und fasziniert. Das alles führt zu großer Zustimmung.
Es gibt ja auch immer wieder Vorwürfe, diese großen Auftritte des Dalai Lama wie der im Frankfurter Stadion seien doch reine Kommerzveranstaltungen. Was entgegnen Sie darauf?
Also zunächst einmal sage ich sehr deutlich, dass ich mich getrennt halte von dem, was religiöse Unterweisungen und religiöse Aktivitäten sind. Ich werde auch nicht in der Commerzbank-Arena sein. Ich weiß aber, dass die Veranstalter sich durchaus beträchtliche Mühe geben, zu diesen Kosten, die sie dort in Anspruch nehmen, eine Veranstaltung zu organisieren. Das ist ja nicht unbeachtlich in Deutschland, für tausende von Menschen in einem großen Stadion mit guter Technik das organisieren zu wollen. Und ich kenne sehr viele Menschen die froh sind, den Dalai Lama auch einmal persönlich zu hören. Insofern glaube ich, von dem was die Popstars an gleicher Stelle an einem Abend bekommen, würde natürlich das tibetische Volk alleine für seine Siedlungen in Indien, die sie unterhalten müssen, träumen, aber die Realität ist, dass das Geld, das die Menschen dort bezahlen, dafür verwandt wird, die Organisation zu ermöglichen.
Kommen wir zum politischen Anliegen, das der Dalai Lama ja auch hat, nämlich mehr Freiheit für die Tibeter in ihrer von China besetzten Region. Was können Sie als persönlicher Freund für ihn denn in dieser Sache tun?
Ich empfinde meine Rolle seit vielen Jahren als diejenige eines Ratgebers und gelegentlich auch eines Menschen, der Kontakt ermöglichen kann in Europa, um mit denen, die sich für die tibetische Sache engagieren, gemeinsam zu erreichen, dass das Thema nicht in Vergessenheit gerät. Nicht in Vergessenheit gerät durchaus medial, also damit in der Öffentlichkeit, aber auch nicht in Vergessenheit gerät auf den Tagesordnungen von Politik und Regierungen, weil davon hängt diese sehr, sehr schwierige Zukunft des tibetischen Volkes, die ja sehr damit verbunden ist, ob es gelingt, in angemessener Zeit eine verbesserte Regelung für Autonomie für das Leben und Lernen der eigenen Sprache, für das Ausüben der eigenen religiösen Riten, für das Schaffen einer noch hinreichenden räumlichen kulturellen Identität, ohne von Festlandchinesen völlig überbevölkert im eigenen Land eine Minderheit geworden zu sein, um diese Fragestellung in der Öffentlichkeit und in den Regierungen präsent zu halten. Denn China wird nur reagieren und wird nur Veränderungen vornehmen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Weltgemeinschaft trotz aller Versuche des Verdrängens das Thema auf der Tagesordnung hält.
Aber der Druck der Weltgemeinschaft ist ja schwierig aufrechtzuerhalten. Das sehen wir ja schon an den deutschen Politikern. Es ist ein schwieriges Feld für sie, auf dem sie sich da zwischen der chinesischen Regierung und dem Dalai Lama bewegen. Das sieht man ja auch immer daran, dass außer Ihnen kaum ein hoher Politiker des Bundes bei einem solchen Besuch sich blicken lässt. Bleibt es da nicht einfach nur bei hehren Worten statt Taten?
Für alle ist es eine Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit, Einfluss zu behalten, die wirklichen Machthaber Chinas nicht sozusagen zu isolieren und damit herbeizuführen, dass gar nichts passiert und auf der anderen Seite das öffentliche Interesse wachzuhalten. Wahrscheinlich muss man das in einem Land auch so haben, dass es da unterschiedliche Neigungen und Charaktere gibt. Wir in Deutschland stehen da, glaub ich, auch, was das Selbstbewusstsein angeht, ziemlich gut da. Wir haben eine Bundeskanzlerin, von der die chinesische Führung weiß, wie ihre Position ist, und die auch nicht beabsichtigt, sie zu ändern, und die das auch immer offen, egal ob in Deutschland oder bei ihrem Besuch in China, sagt. Es gibt immer noch Länder, die aus Angst um ihre nächste Handelsdelegation den Dalai Lama ausladen, die sind eher das Problem. Und ich denke, dass das ein Kampf sein wird um Argumente, bei dem es keine stromlinienförmig einheitliche Entwicklung geben wird, dazu ist China zu stark. Aber wenn es eine stromlinienförmige Entwicklung gäbe, wäre die Gefahr viel größer, dass die gegen die Tibeter läuft, und deshalb immer wieder als Stachel im Fleisch der Diskussion überall auf der Welt das Thema auch politisch präsent zu halten, das ist das Ziel, und ich glaube, damit muss man im Augenblick nicht unzufrieden sein und muss deshalb auch sagen: „Ja, was jetzt wieder eben kommen muss, sind Fortsetzungen von Verhandlungen.“ Das Ziel ist ja kein militärisches Ziel. Das Ziel ist, Gespräche zu organisieren, auch in Zukunft.
Sie plädieren also dafür, dass Gespräche in dem Fall besser sind als zu starker politischer Druck?
Ja, ich glaube, dass man das eben sehr wohldosiert kombinieren muss. Die chinesische Führung ist ein nach wie vor sehr, sehr diktatorisches Regime, das auf kurze Frist gesehen alle Handlungsmöglichkeiten in der Hand hat, und deshalb geht es darum, in der Abwägung der Nützlichkeiten auch für die chinesische Führung einen Vorteil zu sehen, ohne dass diejenigen, die dort Verantwortung tragen, im asiatischen Sinne gesprochen das Gesicht verlieren. Das sind Überlegungen, die der Dalai Lama persönlich sehr, sehr im Kopf hat und die er aus seinen früheren Erfahrungen mit dem Regime von Mao Tse Tung ja auch noch persönlich kennt. Man kann nicht glauben, dass man auf friedliche Weise China dadurch überzeugt, dass man sie ihres Respektes beraubt, sondern man muss dafür sorgen, dass – zum Beispiel indem man auf die Buchstaben der Verfassung der Volksrepublik China hinweist, in der von regionaler Autonomie ja die Rede ist – versucht, Wege zu finden, die die Ängste der chinesischen Führung in ihrem Vielvölkerstaat durchaus aufnehmen, und gleichzeitig sicherstellen zu sagen, es gibt aber unter diesen Bedingungen einen Weg, der euch internationales Ansehen verschaffen könnte, und man muss den Weg, der so viel internationalen Ärger auslöst, nicht auf Dauer gehen. Das ist eigentlich die Kernbotschaft, die man als Eintrittskarte für seriöse Gespräche braucht. Es gibt Fäden für diese Gespräche, die Chinesen müssen sie intensiver nutzen, als das bisher der Fall war.
Roland Koch (CDU) ist seit 1999 regierender Ministerpräsident des Bundeslandes Hessen.
Das Gespräch führte Ralf Buchinger.
Redaktion: Thomas Latschan