David Wagner: "Jürgen Klopp kann nichts von mir lernen"
11. September 2019DW: Herr Wagner, Ihr Interimsvorgänger Huub Stevens ist am Charakter dieser Schalker Mannschaft fast verzweifelt. Wie ist es Ihnen in kurzer Zeit gelungen, wieder Struktur und Teamgeist zu vermitteln?
David Wagner: Das war nicht ich, das war die gesamte Mannschaft. Als ich hier meine Arbeit begonnen habe, habe ich vieles gehört und erzählt bekommen. Und das war sicher nicht das Beste, was man von einer Mannschaft hören konnte.
Wie haben Sie ihre Spieler wahrgenommen?
Um ehrlich zu sein, habe ich ein Team vorgefunden, das sehr offen war, das eine gute Mentalität und einen guten Charakter hat. Die Spieler wollten sich weiterentwickeln. Vielleicht ist es so: Wenn man in der Vorsaison vieles nicht richtig gemacht hat, dann ist man vielleicht offener dafür, etwas zu ändern. Und das ist genau das, was die Jungs gemacht haben.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Dinge, die es für ein funktionierendes Team braucht und wie formt man diese heraus?
Es gibt nicht nur eine einzige Sache, damit eine Gruppe funktioniert. Die Spieler brauchen die richtige Mentalität und die richtige Einstellung. Und sie müssen offen und bereit dazu sein, ihre persönlichen Grenzen zu verschieben. Man kann nur besser werden, wenn man manchmal auch über seine Grenzen geht. Das ist sehr wichtig für den Erfolg.
Welche Typen braucht man für eine Mannschaft aus Ihrer Sicht?
Man benötigt auf jeden Fall die richtige Balance. Man braucht technische veranlagte, aber auch taktisch versierte Spieler, Kämpfer, kreative Spieler. Du brauchst große Spieler genauso wie wendige. Hoffentlich haben wir auf Schalke den richtigen Mix gefunden. Und hoffentlich können wir daraus etwas Besonderes kreieren.
Sie sind einer von sieben neuen Trainern in der Liga. Nahezu alle wollen möglichst früh und hoch pressen, ein schnelles Umschaltspiel von ihrer Mannschaft sehen. Von außen betrachtet wirkt das nicht sehr einfallsreich. Kann man in der Bundesliga nicht mehr auf andere Weise erfolgreich spielen?
Es gibt nie nur einen Weg, erfolgreich zu sein. Aber für mich persönlich sind das alles ohnehin eher Phrasen, weil es viel mehr darauf ankommt, dass du deine Leistung auf dem Platz abliefern kannst. Es ist das Wichtigste, dass du einen Weg findest, der zu deinem Team passt, und dass die Spieler auch an diesen einen Weg glauben. Und dann werden wir sehen, was am Ende dieser Bundesliga-Saison für uns herauskommt.
"Wir haben den richtigen Weg gefunden"
Haben Sie bereits den richtigen Weg eingeschlagen oder experimentieren Sie noch?
Wir haben ihn gefunden. Aber wir sind auf diesem Weg bei den ersten Schritten, weit davon entfernt, zu sagen, dass wir das Ziel erreicht haben. Ich glaube sagen zu können, dass es bis jetzt ganz gut aussieht. Aber wir alle zusammen wissen sehr genau, dass wir noch sehr hart arbeiten und viele Entwicklungsschritte machen müssen, um nach der Saison sagen zu können: Wir waren erfolgreich.
Der Stil des Fußballs Ihres Freundes Jürgen Klopp wird europaweit vielfach nachgeahmt. Was kann Klopp eigentlich von David Wagner lernen?
Nichts, weil er der Beste ist. Natürlich sprechen wir über alles und das manchmal auch mehrmals. Aber wir haben nicht die Absicht, uns gegenseitig zu kopieren.
Sie haben in der Premier League gearbeitet, jetzt sind Trainer in der Bundesliga. Wo sehen Sie die Unterschiede?
Die Premier League ist ein weltweit vermarktetes Produkt, hinter der eine der besten Marketing-Strategien im Weltfußball steht. Die Bundesliga ist auch eine der besten Ligen der Welt. Aber die talentiertesten Spieler und die talentiertesten Trainer findet man in der Premier League. Wir arbeiten hart daran, die Lücke zu schließen. Aber die Wahrheit ist, dass eine Lücke existiert. Dafür muss man sich nicht schämen. Wir müssen es einfach akzeptieren und daran weiterarbeiten, die Lücke irgendwann zu schließen.
Geht es dabei nur ums Geld?
Natürlich spielt das Geld eine sehr wichtige Rolle in diesem Geschäft. Es ist eine Tatsache, dass langfristig gesehen die Teams mit dem meisten Geld auch den größten Erfolg haben. Aber es macht keinen Sinn, darüber zu lamentieren. Man muss vielmehr darüber nachdenken, wie man es verändern und den englischen Klubs näher kommen kann.
Für Sie hat sich vom Teammanager zum Trainer auch einiges geändert. Sie haben weniger Einfluss auf die Kaderzusammenstellung. Wie sehr schränkt das Ihre Arbeit ein?
Für mich persönlich ist das großartig. Ich habe tolle Leute mit Sportvorstand Jochen Schneider, Kaderplaner Michael Reschke und Aufsichtsratschef Clemens Tönnies um mich herum, die alle sehr darum bemüht sind, unseren Klub nach vorne zu bringen. Ich bin jetzt in der Lage, mich mehr auf die tägliche Arbeit auf dem Platz zu konzentrieren. Wenn man Leute hat, denen man trauen kann, wie es hier der Fall ist, macht es die Arbeit für mich sehr viel leichter. Aber für mich ist es ein großer Vorteil, dass ich exakt weiß, was sich in deren Köpfen abspielt, weil ich diesen Job ja auch schon gemacht habe.
Der FC Schalke 04 scheint finanziell erst einmal abgehängt zu sein, wenn man die Investitionen etwa des FC Bayern, Dortmund, Leipzig oder Leverkusen betrachtet. Die Merchandising-Einnahmen können kaum noch gesteigert werden. Die Hoffnung liegt in den Einnahmen aus dem sportlichen Bereich. Wie wollen Sie die Lücke zu den Rivalen schließen?
Die finanziell paradiesischen Zeiten sind hier momentan vorbei. Das müssen wir akzeptieren. Wir müssen jetzt intelligente Entscheidungen treffen. Wir müssen jetzt Werte mit der Mannschaft und den einzelnen Spielern entwickeln. Und wenn wir gleichzeitig als Verein erfolgreich auf dem Platz sein sollten, wäre das natürlich noch besser.
"Zufrieden ist man nie als Trainer"
Die Schalke-Fans werden also Geduld benötigen?
Geduld gehört zu den wichtigsten Attributen im Fußball, aber auch zu den schwierigsten. Teams, die Beständigkeit auf den Schlüsselpositionen bewiesen haben, waren am Ende die erfolgreichsten. Alle wissen das, aber nicht alle halten sich daran. Ambitionen sind allerdings auch wichtig. Und wir sind ambitioniert.
Wann hätten Sie Ihr Trainer-Ziel erreicht?
Zufrieden ist man als Trainer eigentlich nie. Es geht immer besser. Aber wenn die Atmosphäre im Team gut ist, die Fans zufrieden sind und die Klub-Verantwortlichen von einem Schalke-Spiel nach Hause gehen und sagen können: 'Das war sehr ordentlich, vielleicht nicht perfekt, auch kein Sieg. Aber das war Schalke 04-Fußball.' Das ist genau das, was wir entwickeln wollen. Aber es wird ein langer Weg.
David Wagner ist seit 1. Juli Trainer des FC Schalke 04. Der 47-Jährige war bereits als Spieler beim Ruhrgebietsklub und gewann mit den Königsblauen im Jahr 1997 den Uefa-Cup. Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn arbeitete er zunächst als Trainer im Jugendbereich bei 1899 Hoffenheim und Borussia Dortmund, ehe er 2015 nach England zu Huddersfield Town wechselte. Mit dem damaligen Zweitligisten schaffte er 2017 sensationell den Aufstieg in die Premier League und hielt dann zunächst die Liga. Ende Januar 2019 trennten sich Huddersfield und Wagner. Der Klub stand zu diesem Zeitpunkt auf dem letzten Tabellenrang und stieg am Ende der Saison ab.
Das Interview führte Jörg Strohschein.