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DDR-Jazzer feiern Geburtstag

9. November 2012

Wer hätte das gedacht? Nicht in der BRD, sondern in der DDR entstand 1962 der erste Jazz-Studiengang Deutschlands. Nun spielen Dozenten und Studenten der Musikhochschule Dresden bei einem Konzert zum 50. Geburtstag auf.

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Der deutsche Schlagzeuger und Perkussionist Günter "Baby" Sommer bei einem Auftritt in Dresden(Foto: dpa)
Schlagzeuger Günter "Baby" SommerBild: picture-alliance/dpa

Heute haben angehende Jazz- und Rockmusiker die Qual der Wahl. Bundesweit können sie an mehr als 20 Hochschulen an ihren musikalischen Fertigkeiten feilen. Vor 50 Jahren sah das noch ganz anders aus. Da leistete die Musikhochschule Dresden Pionierarbeit, im Herbst 1962 gründeten aufgeschlossene Musikbegeisterte dort eine "Tanzmusikklasse". Aus ihr entwickelte sich die Abteilung Jazz/Rock/Pop, die erste ihrer Art in Deutschland. Im Lauf der Jahre bildete sie Generationen von Jazzern und Rockmusikern aus. Wer in der DDR zur Session die Bühne enterte, hatte in der Regel studiert und ein staatliches Diplom in der Tasche.

Die sächsische Pionierleistung überrascht umso mehr, als es amerikanische Soldaten waren, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Jazz in die Bundesrepublik mitbrachten, wo er rasch aufblühte. In der DDR dagegen pflegte die sozialistische SED ideologische Vorbehalte gegen populäre Musik aus dem feindlichen Westen, Staats- und Parteichef Walter Ulbricht kanzelte Jazz sogar als "Affenmusik" ab. Da grenzt es fast an ein Wunder, dass in seiner Amtszeit eine akademische Tanzmusikklasse genehmigt wurde.

Wegweisende Neugründung

"In einem Umfeld, wo die Prinzipien des sozialistischen Realismus den Ton angaben, war die Einrichtung dieser Abteilung revolutionär und wegweisend", schreibt der Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer (im Artikelbild oben) rückblickend im jüngsten Jahrbuch der "Hochschule für Musik Carl Maria von Webern Dresden". Sommer, der dort studierte und zu den Free-Jazz-Musikern der ersten Generation in Europa gehört, kehrte 1995 als Professor für Schlagzeug und Percussion zurück und war froh, seine "musikalische Weltumtriebigkeit" in den Lehrplan einzubringen.

Jäcki Reznicek, Bassist der Rockband Silly, studierte in den siebziger Jahren in Dresden. Manche Kommilitonen aus der Klassik-Sparte hätten die Jazz- und Rockmusiker damals schräg angeschaut, aber insgesamt sei alles harmonisch gewesen, sagt der 59-Jährige. Seit er 1991Dozent wurde, müssen künftige Jazzer und Rocker sowohl Kontrabass als auch Bassgitarre spielen. Das soll die Chancen auf dem Markt verbessern. Denn viele wüssten anfangs noch nicht, wo die Reise hingeht, sagt Reznicek.

Umfassendes Studienprogramm

Während Reznicek die Lehranstalt 1977 mit einer Diplomurkunde verließ, sind die Absolventen von heute Bachelor oder Master of Music. Neben dem Hauptfach steht Ensemblespiel im Zentrum. Die Studenten proben regelmäßig in diversen Formationen wie dem hochschuleigenen Jazz Orchestra oder dem Rockensemble. Das Studium umfasst ein Instrumentarium von der E-Gitarre über Posaune und Saxofon bis zur Hammond-Orgel. Auch Jazz- und Rocksänger erhalten akademische Weihen. Als Besonderheit wird Komposition für Jazz, Rock, Pop als eigenständige Ausbildung geboten.

Zur prominenten Professorenriege zählt seit 2009 auch der Startrompeter, Sänger und Komponist Till Brönner, der in Viersen geboren wurde und in Köln studierte. Eine solide Grundausbildung hält er auch in Zeiten von Casting Shows für unabdingbar. "Aus meiner Erfahrung der letzten 25 Jahre kann ich sagen, dass ein mediales Sprungbrett keine fundierte Ausbildung ersetzt und andersrum. Wo beide Faktoren zusammenkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit auf nachhaltigen Erfolg."

Auch der Startrompeter Till Brönner spielt beim Jubiläumskonzert in Dresden (Foto: dpa)
Auch der Startrompeter Till Brönner spielt beim Jubiläumskonzert in DresdenBild: picture-alliance/dpa

Jazzfieber grassiert an Gymnasien

Um den Jazz-Nachwuchs macht sich Brönner keine Sorgen: "Er braucht allerdings mehr mediale Aufmerksamkeit." Wenn sich heute an Schulen Bands gründen würden, dann vor allem im Jazz, sagte er kürzlich zum Wettbewerb "Jugend jazzt" in Dresden. Deshalb stelle sich für ihn die Frage nicht, ob der traditionelle Jazz einmal aussterbe. Vielleicht sei es aber gut, wenn die Frage wieder auftauche und zum Nachdenken über eine bessere Förderung anrege.

An diesem Samstag feiert die Dresdner Abteilung mit einem Konzert ihren 50. Geburtstag. Im Konzertsaal der Hochschule treten dann Dozenten wie Brönner und Sommer sowie herausragende Studierende gemeinsam auf - als "Jazz Pack Dresden".

kle/sc (dpa, www.hfmdd.de)