Decoding China: Pekings Mond-Diplomatie
26. September 2024Ein Spezialbehälter, so groß wie ein Marmeladenglas, ist mit grauem Staub befüllt. "CE6C500" lautet die Beschriftung. Ein Mann mit grauen Haaren nutzt eine Handlupe mit Beleuchtung, um ganz genau hinzuschauen. Chinas Präsident Xi Jinping ist neugierig, genau wie das gesamte Politbüro, das ebenfalls anwesend ist. Diese Woche erhielt die Staatsführung der Volksrepublik einen Einblick in den Weltraum: Wie sieht der Staub von der dunklen Seite des Mondes aus?
China ist die erste Nation, der es gelungen ist, Mondgesteine von der erdabgewandten Seite zu sammeln. Die Mission "Chang'e-6", benannt nach einer chinesischen Göttin, die auf dem Mond mit einem Jadehasen leben soll, brachte Ende Juni 1.935,3 Gramm Proben auf die Erde. Bei der vorherigen Mission "Chang'e-5" wurden im Dezember 2020 bereits 1.731 Gramm Gesteinsproben gesammelt, allerdings von der erdzugewandten Seite des Mondes.
China gegen Rest der Welt
Die US-Raumfahrtbehörde NASA will inzwischen auch wieder zum Mond. Die letzte Landung der Mission "Apollo-17" erfolgte vor 52 Jahren (1972). China ist ohnehin schon wieder auf Mondkurs. Der Unterschied: Während am US-Mondprojekt "Artemis" die europäische Agentur ESA, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie Raumfahrtbehörden von Japan, Israel, Italien, England und Kanada beteiligt sind (insgesamt sind es 43 Länder), arbeitet China auf eigene Rechnung.
Am Montag (23.09.) waren alle Spitzenforscher in der Großen Halle des Volks in der Pekinger Stadtmitte versammelt. Chinas Präsident Xi lobte die Chang'e-Missionen in den höchsten Tönen. "20 Jahre Mondmissionen demonstrieren als eines von zahlreichen Beispiele die Stärke unserer Nation. Uns gelingen Spitzenforschung und außerordentliche Leistung - unabhängig von allen anderen", sagt Xi. "Der Deep Space ist die gemeinsame Außengrenze der Gesamtmenschheit. Die Erforschung des Weltraums ist die gemeinsame Aufgabe der gesamten Menschheit", erklärte Xi und forderte zu internationaler Zusammenarbeit auf.
Geopolitik im luftleeren Raum
Doch ein chinesisch-amerikanischer Schulterschluss 380.000 Kilometer fern der Erde ist derzeit kaum vorstellbar – aus ideologischen Gründen. Der NASA-Chef Bill Nelson war 30 Jahre lang Abgeordneter für die Demokraten im Repräsentantenhaus. 1986 verbrachte er mit dem Space Shuttle Columbia sechs Tage im Weltraum. 2022 kritisierte er China scharf. China mangele es an Bereitschaft, mit den USA zu kooperieren, sagte er. "Zum Tango braucht es zwei."
Tatsächlich ist es die NASA, die aufgrund gesetzlicher Bestimmung nicht mit Peking tanzen darf. 2011 billigte der US-Kongress im Rahmen der Haushaltsdebatte ein Gesetz, das der NASA jegliche Zusammenarbeit mit China verbietet. Der langfristige geopolitische Wettbewerb spiele nicht nur im erdnahen Weltraum, sondern werde sich auch auf das gesamte Erde-Mond-System ausdehnen, so ein Bericht des National Security Space Association (NSSA) in Arlington unweit des Pentagons. "China sieht sich in einem neuen Weltraumrennen mit den USA, das es zu gewinnen beabsichtigt", schrieben NSSA-Forscher Marc Berkowitz und Chris Williams.
Doch eine Chance?
Den Mondforschern in Amerika gelang Ende 2023 dann doch noch eine Ausnahmegenehmigung. Nach übereinstimmenden Medienberichten soll die NASA alle US-Wissenschaftler in einer internen Mail informiert haben, dass sie sich bei der China National Space Agency (CNSA) um Proben von Chang'e-5 für Forschungszwecke bewerben dürften. Die NASA habe dem US-Kongresse eine Bescheinigung vorgelegt, dass in diesem konkreten Fall "keine Gefahr für Daten- und Technologietransfer" bestehe.
In der ersten Bewerbungsrunde im April 2024 mit zehn Kandidaten stammten fünf aus den USA, darunter der NASA-Kurator für Mondgesteine Ryan Zeigler. Auch der deutsche Kosmochemiker Carsten Münker von der Uni Köln war nach CNSA-Angaben unter den Bewerbern.
Peking bleibt gelassen
Die Proben von Chang'e-6 werden derzeit in Peking sortiert. Die Verpackung der Mondgesteine durch Grabgerät sei inzwischen abgeschlossen. Für die Proben vom Lochbohrer brauche man noch zwei bis drei Monate, hieß es Ende September.
Anders als die NASA, die ständig den Kongress um Finanzierung bitten muss, hat das ambitionierte Raumfahrtprogramm in China keine Geldsorgen. Die Regierung finanziert großzügig das Imageprojekt, mit dem sie auch ihre Führungsstärke demonstriert.
Die Mondproben setzt die Pekinger Regierung geschickt in der Diplomatie ein. Diese Geschenkeidee kam ursprünglich von Washington. Vor der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und den USA schenkte Zbigniew Brzeziński, Sicherheitsberater vom US-Präsident Jimmy Carter, bei seinem Besuch 1978 der chinesischen Regierung ein Gramm Mondgestein.
Chinas erste Mondprobe ging nach Russland. Präsident Vladimir Putin erhielt bei seinem Chinabesuch im April 2022 1,5 Gramm Mondgestein. Ein Jahr später revanchierte sich Putin und schenkte Chinas Präsident Xi 1,5 Gramm Mondproben von einer Mondmission aus den 1970er-Jahren der UdSSR.
Auch ein europäisches Land erhielt das wertvolle Geschenk von Peking. "Für gemeinsame Forschung", hieß es in Peking 2023. Die Probe befindet sich im Pariser Muséum national d'histoire naturelle. Beim Staatsbesuch in China wurde Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Gabe überreicht.
Mondlandung bis 2030
In Chinas Nationalmuseum steht der Mondstein "Sample 001". Kleine Mengen werden auch in der Heimatstadt des Staatsgründers Mao Zedong in Shaoshan aufbewahrt — eine politische Geste der Kommunistischen Partei. Mao soll sich schon in den 1970er Jahren für eine starke Raumfahrt eingesetzt haben.
Bisher waren zwölf Menschen, alle NASA-Astronauten, auf dem Mond. Sie haben insgesamt 381,7 Kilogramm Steine vom Mond zur Erde gebracht. China will schnell nachholen. Bis 2030 wird auf dem Mond auch Chinesisch gesprochen werden, kündigt die CNSA an. Die Taikonauten wollen selber rausfinden, ob und wo genau die Göttin Chang'e wohnt.
"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.