Decoding China: Wer prägt das Internet der Zukunft?
Veröffentlicht 24. Mai 2024Zuletzt aktualisiert 25. Mai 2024Derzeit gibt es zwei konkurrierende Versionen des Internets. Auf der einen Seite steht das US-amerikanische, das von privaten Monopolkonzernen wie Meta, Alphabet und Apple dominiert wird, und bei Konsum und Kommerz die Spitzenposition einnimmt, auf der anderen Seite das chinesische Internet, das als Service- und Überwachungsplattform konzipiert ist und in dem die Unternehmen wie ByteDance, Alibaba und Tencent fast uneingeschränkte Markthoheit haben.
Die chinesische Version wird als "Digitale Seidenstraße" und als Teil der umfassenderen "Belt and Road Initiative" (BRI) propagiert, und zwar in Asien und darüber hinaus. Der Bericht "Chinas Digital Silk Road" des Think Tanks "Article 19" aus London stellt fest: "China versucht, die globalen Normen durch technische Standards und multilaterale Foren zu beeinflussen"; beispielsweise im Rahmen der seit 2014 jährlich stattfindenden Weltinternetkonferenz. Das chinesische Modell unterstreicht die "digitale Souveränität", die staatliche Kontrolle und setzt den Schwerpunkt auf "Cybersicherheit, Zensur und Überwachung".
Ein Ursprung, zwei Systeme
Hinter den zwei Versionen stecken zwei unterschiedliche Weltbilder. Das lässt sich auch an der Art und Weise ablesen, wie das Internet in den beiden Ländern jeweils koordiniert wird. Stefan Schmalz, Soziologe an der Universität Erfurt, stellt in seinem Aufsatz "Varianten des digitalen Kapitalismus: China und USA im Vergleich" dazu fest: "Die meisten Regulierungen in den USA zielen darauf ab, unternehmerische Freiheit zu garantieren, während in China die nationale Sicherheit (und damit politische Erwägungen) eine wesentliche Rolle spielen."
Dabei fußen beide Versionen des Internets bis heute auf ein und derselben Basis-Technologie (HTML, TCP/IP usw.). Sie haben sich aber im Zuge des Web 2.0 auseinanderentwickelt. In dem seit der Jahrtausendwende bestehenden Web 2.0 bewegen sich die Nutzer in den leichter zu bedienenden Anwendungen, die von den Tech-Giganten bereitgestellt werden, wie zum Beispiel Instagram, WhatsApp oder Amazon. In China wurden dazu parallele Plattformen entwickelt. WhatsApp ist in China WeChat. Beide Versionen stellen für die allermeisten Nutzer zwei voneinander geschiedene Welten dar, die nicht miteinander kommunizieren.
Chinesischer Sonderweg
China hat spätestens 1998 angefangen, sich von dem von US-Unternehmen dominierten Internet abzukoppeln. Damals ließ die Kommunistische Partei Chinas den großen Firewall schaffen, mit der unerwünschte Inhalte aus dem Ausland gefiltert werden können. 2010 zog sich Google aus China zurück, da es sich mit der Regierung unter anderem nicht auf Richtlinien zur Zensur einigen konnte. 2011 folgte dann die Gründung der inzwischen in Cyberspace Administration of China umbenannten Behörde, die das nationale Internet reguliert und für die Online-Zensur zuständig ist. Sie richtet auch die Weltinternetkonferenz aus.
Die Partei schuf auf diese Weise einen scharf abgegrenzten Markt mit 1,4 Milliarden chinesischen Nutzern, in denen die eigenen Digitalunternehmen wuchsen und gediehen.
Dass Chinas Sonderweg in gewissem Sinne erfolgreich war, lässt sich auch daran ablesen, dass die chinesischen Internetgiganten heute durchaus konkurrenzfähig zu denen der USA sind. So ist das einzige soziale Netzwerk, das nicht aus den USA stammt und dennoch global konkurrenzfähig ist, das aus China stammende TikTok.
Der Kampf um das Internet der Zukunft
Doch China begnügt sich - wie auch der Fall TikTok zeigt - längst nicht mehr damit, sich abzukoppeln. Im Gegenteil: China will expandieren. Die Auseinandersetzung um das Internet der Zukunft wird schon seit längerem geführt. Dabei vermischen sich privatwirtschaftliche, politische und geopolitische Interessen im Kampf um die Schlüsseltechnologie Internet.
Bestes Beispiel dafür ist der Streit um Huawei, einer der weltweit bedeutendsten Konzerne für Telekommunikationsausrüstung und Hardware und der größte Anbieter von 5G-Technologie. Der Vorwurf von Kritikern in den USA und im Westen lautet immer wieder, dass man sich mit der Technologie ein trojanisches Pferd ins Land hole, denn letztlich sei Huawei gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) auskunftspflichtig.
Clive Hamilton und Mareike Ohlberg bezeichneten das Unternehmen in ihrem Buch "Die lautlose Eroberung" als bestes Beispiel dafür, "wie die KPCh Spionage, Diebstahl von geistigem Eigentum und Beeinflussungsoperationen miteinander verbindet." Huawei selbst bestritt die Vorwürfe immer und bis heute fehlt ein Beweis dafür, dass Huawaei tatsächlich sogenannte „Backdoors", also Hintertüren für die Spionage einbaut.
Die Kluft vertieft sich weiter
Ungeachtet dessen breitet sich die Zweiteilung der Internet-Welt weiter aus. So untersagte im November 2022 die Federal Communications Commission (FCC) der USA aus Gründen der nationalen Sicherheit den Import und die Vermarktung von bestimmten Huawei-Produkten in den USA. Ende 2023 wiederum gab China eine Direktive heraus, nach der Regierungsrechner so bald wie möglich weder Intel-Chips, noch Microsoft-Software nutzen sollten.
Drittländer, die nicht über eine eigene Tech-Industrie verfügen, müssen sich zunehmend entscheiden, welchem Lager sie beitreten. Lange waren die USA führend, doch im Indo-Pazifik und insbesondere in Kambodscha, Pakistan und Thailand, aber auch Malaysia und Nepal hat China, so der Londoner Think Tank Article 19 deutlich an Einfluss gewonnen.
Kein Land ist dabei so weit gegangen wie Kambodscha. "Es ist das beste Beispiel dafür, wie sich das Land den digitalen Autoritarismus nach chinesischem Vorbild zu eigen macht. Seit 2021 hat Kambodscha daran gearbeitet, seine eigene Version der Großen Firewall im Rahmen eines Nationalen Internet-Gateways einzuführen", so die Studie.
China sei, so die Autoren weiter, mit seiner digitalen Seidenstraße immer erfolgreicher darin, das freie, offene und interoperable Internet zu beschneiden.
"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.