Degenkolb: "Mit guter Form zur WM"
15. September 2015DW: Wie ist Ihre Form am Ende der Vuelta, vor allem in Hinblick auf die anstehende WM in Richmond in den USA [19. bis 27. September, Anm. der Redaktion]?
John Degenkolb: Ich denke, meine Verfassung ist sehr gut. Ich brauche nach der Vuelta natürlich die Ruhe. Aber ich habe es im letzten Jahr auch so gemacht und bin damit gut klargekommen. Nach der Pause, die ich dann habe, werde ich super in Form sein für die WM.
Sie haben die Spanien-Rundfahrt vor allem als Vorbereitung auf die WM genutzt?
Ja genau. Das bietet sich an, weil es vom Abstand ganz okay ist. Viele sagen ja, dass die Vuelta zu schwer ist, aber ich finde sie nicht allzu schlimm. Natürlich sind die Berge schwer, und man muss sich über sie hinüberquälen. Aber ich habe jetzt zwei Wochen Zeit, um mich wieder zu erholen. Ich fliege schon am Mittwoch nach Amerika, also relativ zeitig. Dann habe ich genug Zeit, um mich dort zu erholen und ein, zwei Tage ein längeres Training zu absolvieren.
Im letzten Jahr hatten sie bei der Vuelta vier Etappensiege, 2012 sogar fünf. Jetzt einer. Verunsichert Sie das?
Nein. Denn das Hauptaugenmerk lag ja auf der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft.
Bei der Rundfahrt ist einer Ihrer Mannschaftskollegen ganz groß herausgekommen: Tom Dumoulin [Der Niederländer trug bis zur vorletzten Etappe das Rote Trikot des Spitzenreiters und wurde am Ende Sechster. - Anm. der Red.]. Was sagen Sie zu seinem Auftritt?
Er bietet schon seit ein, zwei Jahren eine super Performance. Jetzt hat er einen Riesenschritt gemacht, ich freue mich auch für ihn. Es ist super, dass er das Potential hat, da vorne mitzufahren.
Was bedeutet das für die Mannschaft, die ja einst als reines Sprinterteam galt?
Das ist für das Team ein richtiger Schritt nach vorne. Alle haben immer gesagt, wir hätten nur das Zeug für einen Etappensieg, und jetzt sind wir um den Gesamtsieg mitgefahren. Das ist schon ein großer Schritt.
Wie war es für Sie, plötzlich dabei mitzuhelfen, das Trikot des Gesamtführenden zu verteidigen?
Als einer der Älteren und Erfahreneren versuche ich immer, das Team zu unterstützen, meine Meinung einzubringen und die Mannschaft auch zu führen. Wenn die Spezialisten am Berg richtig attackieren wollen, kann ich nicht mithalten. Ansonsten bin ich aber immer da und versuche zu helfen, wenn Not am Mann ist.
Wie sehen Sie aber perspektivisch Ihre Rolle bei einem Giant-Team, das neben Dumoulin mit Warren Barguil ja noch einen weiteren sehr guten Klassementfahrer hat?
Es ist einfach der Lauf der Zeit, dass sich der Charakter der Mannschaft weiterentwickelt. Für meine Position verändert sich nicht allzuviel. Denn ich bin in so einer großen Rundfahrt stark genug, die Jungs auch in den Bergen zu unterstützen und bei den Sprints meine eigene Chance zu suchen. Und bei den Klassikern kann ich sowieso mein eigenes Ding machen, mit meiner Mannschaft im Rücken. Für mich ist das daher eine ganz komfortable Situation
Bei der WM werden wahrscheinlich der Slowake Peter Sagan und der Norweger Alexander Kristoff ihre stärksten Konkurrenten sein. Aber auch der Brite Mark Cavendish traut sich bei diesem Kurs einiges zu. Was bedeutet das für Sie und ihren deutschen Kollegen André Greipel? Sind Sie in erster Linie Konkurrenten oder Partner in diesem Rennen am Ende der Saison?
Ich denke, wir sind gute Kumpel und können uns arrangieren, um einen Plan A zu haben und einen Plan B. Und wenn der Plan A nicht funktioniert, muss eben umgeschwenkt werden. Aber in erster Linie hoffe ich natürlich, dass wir dort als ein Team an den Start gehen und zusammenarbeiten. Ich sehe da eigentlich auch kein Problem.
Im Falle, dass Sie Weltmeister werden, würden Sie ein Jahr lang für das Team Giant das Regenbogentrikot tragen. Da könnten doch auch Giant-Kollegen aus anderen Nationen daran interessiert sein, Sie zu unterstützen.
Das ist natürlich immer schwierig, weil verschiedene Interessen aufeinandertreffen. Jeder versucht natürlich, seine Nation zu vertreten, und sich vom Gedanken frei zu machen, dass wir zusammen in einem Profiteam fahren. Aber viele Teammitglieder sind ohnehin nicht dabei. Tom Dumoulin startet zwar bei der WM, aber ich schätze, dass er bei der holländischen Nationalmannschaft so eingespannt ist, dass er mir nicht helfen darf und kann, selbst wenn er das vielleicht wollte.
John Degenkolb fährt für das deutsche Radprofi-Team Giant Alpecin. Der 26-jährige Thüringer feierte seine größten Erfolge bei den klassischen Eintagesrennen. 2013 gewann er Paris-Tours, 2014 Gent-Wevelgem. Im vergangen Frühjahr schaffte er das Kunststück, sowohl den Klassiker Mailand-San Remo als auch Paris-Roubaix für sich zu entscheiden. Außerdem stehen neun Etappensiege bei der Vuelta und einer beim Giro d'Italia in Degenkolbs Erfolgsliste.
Das Interview führte Tom Mustroph.