Deichbau an der deutschen Nordseeküste
Ohne Deiche ist kein menschliches Leben an der deutschen Nordseeküste möglich. Die Deiche halten das Land bei den täglichen Hochwassern trocken und müssen Mensch und Tier vor schweren Sturmfluten schützen.
Beim Deichbau muss jeder ran
Deichbau ist eine Arbeit, bei der wirklich jeder mithelfen muss. Im Mittelalter wurden drakonische Strafen verhängt, wenn jemand seine Deichpflichten vernachlässigte. Diese Skulptur in Otterndorf an der Elbmündung zeigt, was für eine Plackerei der Deichbau ist. Über Jahrhunderte wurde diese Arbeit von den Küstenbewohnern selbst geleistet - neben der Arbeit auf dem Feld oder im Stall.
Deichbau vor hundert Jahren
"Wer nich will dieken, der mutt wieken!" Diesen Spruch kennt an der Nordseeküste jedes Kind - auch wenn es selbst gar nicht mehr Pattdeutsch spricht: "Wer nicht will deichen, der muss weichen". Diese Aufnahme aus dem nordfriesischen Klanxbüll zeigt die Dimensionen: Die Arbeiter sind kaum noch zu erkennen, während sich der Deich bis zum Horizont erstreckt.
Deichbau heute
Heute erledigen Maschinen die harte Arbeit, außerdem sind es inzwischen Profis, die den Deich bauen. Im Mittelalter galt die Regel: Wenn ein Bauer seine Deichpflicht nicht mehr erfüllen konnte, steckte er als Zeichen der Kapitulation seinen Spaten in den Deich und musste Haus und Hof verlassen. Wer glaubte, den Deichdienst für ihn leisten zu können, durfte den so verlassenen Hof übernehmen.
Der Schimmelreiter
Der Deichbau ist genossenschaftlich organisiert und durch Beiträge der Anwohner finanziert. Sie wählen auch die Vorsitzenden, die Deichgraf, Strandvogt oder Oberdeichrichter genannt werden. Die regelmäßigen Deichbegehungen werden aber nicht mehr zu Pferde durchgeführt, wie noch im 19. Jahrhundert. Damals hat Theodor Storm mit dem "Schimmelreiter" den Deichgrafen ein literarisches Denkmal gesetzt.
Wie ein moderner Deich aussehen sollte
Nicht nur die Arbeit und die Finanzierung haben sich geändert, auch die Deiche selbst werden weiterentwickelt. Seit langem schon wird die Seeseite viel flacher gebaut, damit sich die Wellen am Deich "totlaufen" können. Inzwischen weiß man: Auch die Landseite muss möglichst flach sein, damit einzelne überlaufende Wellen sanft abfließen und nicht ganze Streifen aus der Deichrückseite brechen können.
Entwässerung durch das Sieltor
Ein Deich soll das Wasser "draußen" lassen - klar. Aber im Land selbst, das im Fall der Nordseeküste auf und manchmal sogar unter dem Meeresspiegel liegt, sammelt sich Wasser, das abfließen muss. Dafür gibt es die sogenannten Sieltore in den Deichen. Sie werden geöffnet, wenn der Wasserspiegel bei Niedrigwasser tiefer liegt als im Binnenland. Dann kann das Wasser in die See ablaufen.
Schöpfwerk
Dasselbe Sieltor, es steht im ostfriesischen Greetsiel, und daneben ein Schöpfwerk. Damit wird das Binnenwasser durch Pumpen nach buten (plattdeutsch für "draußen") gepumpt. Das funktioniert auch bei höheren Wasserständen vor dem Deich. Die Tore in den Deichen haben vielen Orten Ostfrieslands ihren Namen gegeben: Greetsiel, Carolinensiel, Bensersiel, Neuharlingersiel usw.
Wenn die Bundeswehr kommt ...
... ist es fast schon zu spät. Wo bei normalem Wetter Touristen über die Deiche spazieren, sieht man im Falle einer besonders hohen Flut oder gar einer Sturmflut Soldaten der Bundeswehr. Sie schleppen dann in Hundertschaften Sandsäcke. Mit deren Hilfe werden die Deiche von oben beschwert und so stabilisiert. Außerdem werden sie auf diese Weise auch noch ein wenig erhöht.
Wenn alles zu spät ist
Dieses und die beiden folgenden Bilder entstanden während der schweren Sturmflut in der Deutschen Bucht im Februar 1962. Damals waren, besonders in und um Hamburg, einige Deiche gebrochen. In der Sturmnacht und den darauf folgenden Tagen mussten Polizei und Feuerwehr Tausende vom Ertrinken bedrohte Menschen retten.
Der schlimmste Fall
Deichbruch - das ist der Albtraum jedes Küstenbewohners. Ein Deich kann brechen, weil ihn die Gewalt der Wellen buchstäblich zerschlagen hat, weil der Wasserstand einfach zu hoch war und eine Überspülung das Bauwerk destabilisiert hat oder weil der Deich unterspült wurde. Die Folgen sind auf jeden Fall tödlich: Wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann, ertrinkt.
Im kollektiven Gedächtnis
340 Menschen kamen in der Flut von 1962 ums Leben. Seither hat es einige höhere Fluten gegeben, doch die Deiche waren rechtzeitig erhöht und verstärkt worden - eine Katastrophe wie vor 55 Jahren hat es in Deutschland seither nicht mehr gegeben. Damit das auch in Zukunft so bleibt, werden die Küstenschutzbauwerke ständig überprüft und wo nötig - und möglich - auch erhöht.
Der nächste Sturm kommt bestimmt
Und er wird wohl stärker ausfallen - das ist wenigstens die Vorhersage der Meteorologen. Durch den Klimawandel werden Wetterereignisse wie Stürme häufiger und heftiger eintreten. Was bei schönem Wetter pittoresk wirkt, wie hier der Deich zwischen Ditzum und Nendorp an der Emsmündung in Ostfriesland, muss im Sturm Mensch und Tier vor dem Ertrinken bewahren - und das Wasser "draußen halten".
Der Deichbau in Deutschland ist eine Gemeinschaftsaufgabe, da muss jeder helfen. Früher haben die Küstenbewohner die Deiche selbst errichten und in Stand halten müssen - heute delegieren sie diese Aufgabe. Über die von ihnen finanzierten und genossenschaftlich organisierten sogenannten Deichachten lassen sie die Deiche von darauf spezialisierten Bauunternehmen errichten.