Radsport-Krise
24. Mai 2007Ein Doping-Fall jagt den nächsten, der Radsport scheint ins Bodenlose zu fallen. Die aktuelle Krise hat bereits erste ökonomische Auswirkungen: Nach den Geständnissen von T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag und Milram-Fahrer Erik Zabel erklärte das Geflügel-Unternehmen Wiesenhof, Sponsor des "Wiesenhof-Felt-Teams", am Donnerstag (24.5.07) seinen Rückzug aus dem Profiradsport zum Jahresende.
Das war offenbar erst der Anfang, denn Fachleute rechnen nun mit weiteren Rückzügen. "Jetzt werden manche Sponsoren ihr Engagement neu überdenken", sagt Sponsoring-Experte Stephan Schröder von der Kölner Fachagentur "Sport und Markt". Nach der Telekom würden nun auch die beiden anderen großen Ställe Milram und Gerolsteiner ihre Fahrer überprüfen. Auch kleinere Sponsoren wie Vatenfall werden sich Gedanken machen. "Wenn in diesem Jahr weitere Katastrophen passieren, dann werden wir nicht die Einzigen sein, die ihr Engagement infrage stellen", sagte ein Sprecher dem Fachdienst Radsport-News im März.
Die ersten Rennen mussten abgesagt werden
Die Krise begann 2006 mit den Skandalen um Jan Ullrich und Tour de France-Sieger Floyd Landis. Wirtschaftlich hat das den Sport schwer getroffen: Die Deutschland-Tour stand wegen Sponsorenmangels auf der Kippe. Kleinere Rennen mussten, ähnlich wie in Spanien, bereits abgesagt werden, berichtet Achim Schmidt, Radsport-Fachmann der Sporthochschule Köln. "Auch die Vereine haben große Probleme, Gelder für einfache Dinge wie Trikots zu finden."
Im Ausland haben sich bereits größere Unternehmen wie etwa die spanische Blinden-Lotterie Once aus dem Geschäft verabschiedet. Der amerikanische Profi-Sponsor Discovery will 2008 folgen. Weitere Rückzüge sind nicht auszuschließen, denn auch in Frankreich, Italien und Belgien ziehen Doping-Affären ihre Kreise.
Unternehmen droht kein direkter Schaden
Unternehmen wie der Deutschen Telekom droht kein direkter finanzieller Schaden durch einen Doping-Skandal. "Dies zeigt etwa der Korruptionsfall bei Siemens. Auf die Bilanzen hat das keinen Einfluss, dafür gibt es zu viele Einzelfaktoren", sagt der Münsteraner Marketing Professor Klaus Backhaus.
Dennoch nimmt die Skepsis unter den Sponsoren zu, wie die Studie "Sponsor Visions 2007" der Hamburger Agentur pilot zeigt: 68 Prozent der Marketing-Experten in Unternehmen und Agenturen sehen das Sponsoring-Potenzial des Radsports im Niedergang begriffen, für 22 Prozent ist die Tendenz gleichbleibend. Nur ein Prozent sieht die Lage positiv. Der Rückzug von Sponsoren trifft Rennställe besonders hart, weil in kaum einer Sportarten die Teams so abhängig von ihren Geldgebern sind wie im Radsport.
Deutsche Sponsoren zahlen am meisten
In Deutschland werden europaweit die höchsten Gelder bezahlt. T-Mobile engagiert sich laut "Sport und Markt" mit rund zehn Millionen Euro. Gerolsteiner investiert acht, und Milram zwischen vier und fünf Millionen Euro. Fernsehgelder und Unternehmenssponsoring haben den Radsport zu einem Millionengeschäft gemacht. Allein die Tour de France erlöst 2007 45 Millionen Euro durch Verträge mit Medienunternehmen und weitere 38 Millionen durch Sponsoreneinnahmen.
Durch die aktuelle Krise könnten auch die Profi-Gehälter sinken. Und es wird schwieriger für Fahrer, lukrative Werbeverträge abzuschließen. Das Zuschauerinteresse bleibt trotzallem groß. "Die Faszination ist ungebrochen. Die großen Rennen finden regen Zuspruch", sagt Stephan Schröder. "Die Masse der Breitensportler findet Spaß am Radsport - und will ihn auch weiter im Fernsehen haben", sagt Achim Schmidt.
Vorerst kein Sendestopp
Zwar gibt es viele Stimmen für einen Sendestopp. Der Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Peter Danckert (SPD), hat dies bereits mehrfach gefordert. ARD und ZDF wollen aber trotz der Doping-Beichten zunächst an der Übertragung von Radrennen festhalten. Das Erste werde die weitere Entwicklung genau verfolgen und seine Haltung regelmäßig überprüfen, sagte ARD-Sprecher Peter Meyer am Donnerstag in Saarbrücken. Der ARD-Vorsitzende Fritz Raff hatte zuvor jedoch in einem Zeitungsinterview nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die Berichterstattung über Radevents wie die Tour de France einzustellen. Stephan Schröder verweist darauf, dass bereits über den Giro d'Italia auffallend wenig berichtet worden sei. "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Sender weniger in die Berichterstattung investieren werden", sagt er.
Steigen die öffentlich-rechtlichen Anstalten aus, wäre das der GAU. Mit den Einnahmen ginge auch das Publikumsinteresse spürbar zurück. Kommt es nicht dazu, dürfte sich der Radsport mittelfristig auch finanziell wieder erholen, glauben die Fachleute. Sie hoffen auf den Selbstreinigungseffekt des Skandals. "Mit den Geständnissen ist der Damm gebrochen. Jetzt kann der Radsport endlich seine Krise überwinden und sich neu ausrichten", sagt Achim Schmidt. "Hoffentlich nutzt er diese Chance."