Demokratie lernen
28. Juni 2009Es klingelt schrill. Kinder schreien und rennen aus dem alten Gebäude in Belgrad. Schulschluss. Danica kommt über den Pausenhof. Eigentlich hätte die 17-Jährige jetzt frei. Aber Danica hat noch viel vor: Die junge Serbin engagiert sich politisch, heute, 20 Jahre danach.
Die wichtigste Rede
Damals landete am 28. Juni 1989 ein Hubschrauber auf dem sogenannten Amselfeld im Kosovo. Auf diesem Hochplateau fand im Jahr 1389 eine bedeutsame mittelalterliche Schlacht zwischen Christen und Osmanen statt. Seither wird das Datum als serbischer Nationaltag verehrt.
Auf den Tag genau 600 Jahre später kletterte ein gewisser Slobodan Milosevic aus dem Hubschrauber, hunderttausende Serben jubelten ihm zu. Millionen verfolgten an den Bildschirmen die wohl wichtigste Rede seiner politischen Amtszeit. In der Rede beschwor Milosevic einen politischen Neuanfang, hin zu einem serbischen Nationalismus. Beobachter sind sich bis heute sicher: Milosevic leitete mit seiner Amselfeldrede den Zerfall und die Kriege im ehemaligen Jugoslawien ein.
Neues Serbien
"Als Milosevic auf dem Amselfeld stand, war ich ja noch nicht einmal geboren", sagt Danica heute und lacht. "Jetzt gibt es ein neues Serbien, weg vom Nationalismus."
Danica ist im Vorstand der nationalen Schülervereinigung Serbiens. Sie will sich einbringen, Menschen begeistern, hin zu mehr Demokratie in ihrem Heimatland: "Meine Eltern haben mir immer gesagt, wie wichtig Partizipation ist - und dass du dir immer eine eigene Meinung bilden musst und nicht anderen nur hinterher laufen darfst", erzählt sie. "Du musst eine Persönlichkeit haben und für deine Rechte kämpfen!"
Korruption und Frust
Danica ist ein positives Beispiel - das in Serbien selten ist. Viele Jugendliche haben keine Perspektive, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Das System ist an vielen Stellen korrupt: Mit Beziehungen und Geld kommt jeder an Macht - allein mit Bildung nicht. Es ist leicht, sich ein Abitur oder einen Hochschulabschluss zu kaufen und Karriere zu machen.
Das demotiviert, weiß auch die Studentin Milica. Sie engagiert sich trotzdem politisch - um dem Frust ihrer Altersgenossen entgegen zu wirken. "Das größte Problem ist, dass wir keine Zukunft sehen", sagt sie. "Alles dreht sich nur darum, jetzt zu überleben. Die Jugendlichen machen keine Pläne für morgen, weil sie keine Hoffnung haben und nicht glauben, dass sie in der Zukunft überhaupt Erfolg haben könnten."
Bomben auf Belgrad
Danica stimmt ihr zu. "Die meisten Jugendlichen hier sind so passiv", sagt die 17-Jährige. Die junge Generation sei einfach zu viel schlimmes gewohnt. Auch Danica hat als Kind im Keller gesessen, als die Bomben auf Belgrad fielen. "Der erste Krieg auf dem Balkan, die Bomben auf Belgrad, der zweite Krieg, die Kosovo-Krise…das hat die junge Generation geprägt." Die meisten Jugendlichen glaubten nicht mehr an den Wandel, sagt sie traurig und fügt ein wenig trotzig hinzu: "Dabei werden die Dinge besser, ganz sicher. Es braucht nur Zeit."
Einbringen lernen
Jugendliche für die Demokratie begeistern, ihnen Mut machen, sich zu engagieren - das ist die Aufgabe von Oliver Kainrad. Er arbeitet für die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Belgrad. Aus Deutschland kommen im internationalen Vergleich jährlich die meisten Fördergelder nach Serbien, um die Demokratie im Land aufzubauen.
Kainrad setzt dabei auf die heranwachsende Generation. "Bis jetzt hatten die Jugendliche hier im Land einfach noch keine Möglichkeit, Demokratie kennenzulernen", sagt er. "Wir wollen den Jugendlichen vermitteln, welche Chancen sie in einer demokratischen Gesellschaft haben, wie sie mitbestimmen können."
"Wir sind Gegenwart!"
Die Schülervereinigung von Danica und Milica ist Teil dieses Programms: Sie kämpfen zusammen mit ihren Kollegen für mehr Jugendbeteiligung in den Schulen und in der Bildungspolitik. In ganz Serbien wählen die Schüler Abgeordnete für das nationale Schülerparlament. Diese treffen sich dann mit der serbischen Jugendministerin. Auch auf europäischer Ebene engagiert sich die Schülervereinigung bereits.
Milica will erreichen, dass junge Leute gefragt werden, dass sie in der Schule, an den Unis und in der Politik mitreden dürfen. "Die Leute sagen immer: Jugend ist die Zukunft. Aber wir sind doch jetzt da, wir sind Gegenwart", sagt sie. "Wir wollen uns heute engagieren, wir wollen heute die Dinge ändern, wir wollen heute eine bessere Bildung! Wir müssen doch nicht erst alt werden, um Verantwortung zu übernehmen!"
Eltern müssen lernen
Da setzt auch Oliver Kainrad an: Er versucht, der älteren Generation zu vermitteln, dass die Jugendlichen ein neues Serbien wollen, dass sie bereit sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen - und dass man sie nur lassen muss. Das klappt nicht immer: Oft verweigern Direktoren die Jugendparlamentswahlen, Lehrer ernennen ihre Lieblinge zu den Abgeordneten, oder die Eltern trauern doch eher dem Milosevic-Regime nach, als ihre Kinder zu fördern.
"Wir müssen hier parallel zu den Jugendlichen auch immer mit den Lehrern, Direktoren und Eltern arbeiten", erklärt Kainrad. "Sie müssen verstehen, wie wichtig es ist, dass Jugendliche lernen, selber Entscheidungen zu treffen und Entscheidungsprozess anzustoßen. Den serbischen Jugendlichen muss man Mut machen, dass sie Dinge zu sagen haben, und dass sie diese Dinge auch äußern."
Rocken für die Demokratie
In diesem Sommer veranstalten Milica und Danica mit ihren Kollegen ein großes Musik-Festival in Belgrad - von Jugendlichen für Jugendliche. Zwischen Klassenarbeit und Vorlesungen kämpfen die Teenager für mehr demokratische Rechte in den Schulen. Unterkriegen lassen sich die beiden nicht, auch nicht von Rückschlägen. "Wenn du es schaffst, einen Jugendlichen mehr zu überzeugen, hast du viel erreicht", sagt Milica. "Es ist einfach wichtig, den jungen Leuten hier Alternativen zu geben, die Welt aus einer anderen Perspektive zu zeigen."
Und Milosevic? Der ist für die jungen Frauen endgültig Geschichte: Auf den Tag genau zwölf Jahre nach seiner Amselfeldrede, am 28.Juni 2001, wurde er an das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag ausgeliefert. Dort starb der Serbenführer fünf Jahre später in seiner Zelle.
Umso mehr gehe es jetzt um ihre Heimat Serbien, sagt Milica. "Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, die Dinge politisch zu verändern. Wir sind schließlich keine Außeririschen, sondern Serben. Wir leben hier - und ein demokratischer Neuanfang ist möglich!"
Autorin: Anna Kuhn-Osius
Redaktion: Eleonore Uhlich