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Demokratische Fassaden

Thomas Kohlmann30. April 2003

Die Bürger des Golfemirats Katar haben in einem Referendum über die erste dauerhafte Verfassung ihres Landes abgestimmt. Das Votum gilt als wichtiger Schritt in Richtung Demokratisierung. Doch der Weg ist noch weit.

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In Katar haben die USA ihre Irak-Kommandozentrale: Und was tut sich sonst im Wüstenstaat?Bild: AP

Mit großer Mehrheit haben die Einwohner des Golfstaates Katar der ersten ständigen Verfassung seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1971 zugestimmt. 96,6 Prozent der knapp 69.000 Wahlberechtigten hätten für die Annahme gestimmt, teilte das Innenministerium am Mittwoch (30. April 2003) in Doha mit. Die Bestätigung der Verfassung ist ein weiterer Schritt zur Demokratisierung des Golfstaates. Sie macht den Weg frei für die erste Parlamentswahl, die im kommenden Jahr stattfinden soll.

Bislang werden die Geschicke des arabischen Emirats Katar jedoch von der Herrscherfamilie Al Thani gelenkt. Sie stellt die wichtigsten Regierungsbeamten des Staates am Persischen Golf. Seit der Unabhängigkeit 1971 ist Emir Scheich Hamad bin Chalifa El Thani mit absoluten Machtbefugnissen ausgestattet. Mitglieder anderer einflussreicher Familien im Kabinett oder der beratenden Versammlung des Landes dienen vor allem der Machtabsicherung der Al Thanis.

Demokratisierung von des Emirs Gnaden

Wahlen in Katar
Abstimmung in KatarBild: AP

Die Verfassung sieht ein 45-köpfiges Parlament vor, das zu zwei Dritteln vom Volk gewählt wird. Das andere Drittel wird vom Emir bestimmt. Er behält auch das Recht, das Kabinett zu ernennen. Frauen haben - wie in den Golfstaaten sonst nur noch in Bahrain - sowohl das passive als auch das aktive Wahlrecht. Bislang galt in Katar eine provisorische Verfassung.

Der Emir hat nach seiner Machtübernahme 1995 nicht nur Frauen das Wahlrecht eingeräumt, sondern auch die Pressezensur gelockert. Mit ausdrücklicher Genehmigung und Rückendeckung durch den Herrscher hat in Katar der kritische Fernsehsender Al Jazeera seine Sendezentrale. Doch Reformen, Referendum und Verfassung werden das kleine Katar mit seinen 650.000 Einwohnern nicht automatisch in eine demokratische und pluralistische Gesellschaft verwandeln.

Keine Eins-zu-Eins-Kopie des Westens

Katar gilt in gewisser Weise als Vorbild für die Wüstenstaaten: Ähnliche Formen der Mitbestimmung gibt es nur noch im Golfstaat Bahrain oder in Saudi Arabien, wo ein so genannter Konsultativrat bei der Gesetzgebung mitwirkt. Dessen Rolle ist aber eher symbolisch. "Letztendlich werden diese Räte ernannt, und auch Wahlen werden im arabischen Raum so gelenkt, dass es bei der Stimmenauszählung zu keinen bösen Überraschungen für die Regierenden kommt", erklärt Henner Fürtig vom Deutschen Orient-Institut im Hamburg.

Es sind also häufig nicht mehr als demokratische Fassaden, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die eigentliche Macht im Staat der absolute Herrscher hat. "In der gesamten arabischen Welt – von Mauretanien bis in die Golfstaaten – gibt es einen Drang zur Veränderung", meint Fürtig. "Die Menschen sehnen sich danach, ihre oft korrupten Herrschaftssysteme abzuschütteln. Eines wollen sie aber auf keinen Fall: Eine Eins-zu-Eins-Kopie der westlichen Demokratie."

Suche nach dem arabischen Weg

Auch die Vertreter der irakischen Opposition, die mit dem US-Verwalter Jay Garner am Montag (28. April 2003) in Bagdad zusammenkamen, um eine Nachkriegsordnung für ihr Land zu diskutieren, kennen diesen Drang der arabischen Massen: "Die Menschen wollen ein wirkliches Mitspracherecht", davon ist auch Hussein Sadr vom Islamischen Rat in London überzeugt. Das irakische Volk wolle nach seiner Befreiung Sicherheit und Stabilität.

WTO-Konferenz in Katar
Bild: AP

Dass demokratische Prozesse von einem arabischen Land auf das andere übergreifen können, wie es die Amerikaner von ihrem Demokratie-Export in den Irak erhoffen, halten auch arabische Politiker für möglich: "Die Annahme einer Verfassung für Katar wird ohne Zweifel positive Auswirkungen auf die anderen Staaten der Golfregion haben. Viele befinden sich ebenfalls auf dem Weg in Richtung Demokratie. Und die übrigen Staaten der Region werden vielleicht unserem Beispiel folgen", meint Yousuf K Darwish, Geschäftsmann und Politiker, im Interview mit der englischsprachigen Zeitung "Gulf Times" aus Katar.

Krasse Gegensätze zwischen Arm und Reich

Ob die arabische Spielart demokratischer Mitbestimmungsformen annähernd unserem Demokratieverständnis nahekommt, ist eher unwahrscheinlich. Wie unterschiedlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den arabischen Ländern im Vergleich zu Westeuropa oder Nordamerika sind, machen schon einige Zahlen aus dem arabischen Entwicklungsbericht "Arab Human Development Report" der Vereinten Nationen vom Juli 2002 deutlich: 65 Millionen Araber können nicht lesen, zwei Drittel davon sind Frauen, und zehn Millionen Kinder haben keinen Zugang zu Schulen. Nur 0,6 Prozent der Menschen in der arabischen Welt nutzen das Internet. Die Region gibt für Forschung und Entwichklung nur ein Siebtel dessen aus, was in der übrigen Welt im Durchschnitt investiert wird.

Von Pluralismus keine Spur

Die arabischen Länder sind erheblich reicher, als es der Lebensstandard der Bevölkerung erahnen lässt. Es grenzt schon fast an ein Wunder, was sich in der Golfregion in den vergangenen 20 bis 30 Jahren getan hat: "Wenn Sie in Dubai über die ultramoderne Strandpromenade gehen, erahnt man als Europäer, mit welchem Schwung diese Menschen aus ihrer archaischen Welt mitten im 21. Jahrhundert gelandet sind", meint Fürtig vom Orient-Institut.

Auch in Zukunft werden also die Unterschiede zu einer parlamentarischen Demokratie wie in Deutschland oder einer konstitutionellen Monarchie wie in Großbritannien gewaltig sein. So gibt es trotz aller Demokratisierungstendenzen in Katar bis heute keine Pressefreiheit und von Pluralismus kann ebenfalls keine Rede sein. "Es bestehen weder Parteien noch Gewerkschaften. Die in größeren Betrieben gebildeten Arbeiterräte haben lediglich Streit schlichtende Funktion. Freie Religionsausübung ist nicht gegeben", stellt das Auswärtige Amt in seinem Länderporträt kurz und knapp fest.