Zu Fuß durch's Kriegsgebiet
17. September 2018In Sandalen geht Parlamentskandidat Chrispin Mvano auf Wahlkampftour. Japsend stapft er die Berge hinauf. Die Luft hoch oben in seinem Wahlkreis Masisi in den Bergen des Ostkongo ist dünn, die Wege sind steil und holprig - kein einfaches Terrain, gibt der 40-jährige Kongolese zu.
Eigentlich ist Mvano Journalist, manchmal berät er die UN-Mission im Kongo, schreibt Konflikt-Analysen für internationale Nichtregierungsorganisationen. Doch Anfang August hat er sich als Kandidat für die Parlamentswahlen am 23. Dezember in der Demokratischen Republik Kongo aufstellen lassen - für seinen Heimatbezirk Masisi in der östlichen Provinz Nord-Kivu. Sein Wunsch ist es, den Bewohnern Masisis endlich Frieden zu bringen.
Der Bezirk mit seinen grünen Almen, den dichten Wäldern und hohen Bergen ist seit einem Vierteljahrhundert Kriegsgebiet. Rund zwei Dutzend kongolesische und ausländische Rebellengruppen tummeln sich hier, jedes Jahr werden es mehr. Mittlerweile hat fast jeder Hügel, jedes Dorf seine eigene Bürgerwehr. Es gibt kaum Straßen, Schulen oder Krankenhäuser. Der Staat ist fast nicht existent. Masisi ist quasi ein Mikrokosmos des Teufelskreises der Konflikte im Kongo.
Landkonflikt: Shonga ist abgebrannt
Von weitem sieht man ein paar windschiefe Lehmhütten mit Strohdächern auf dem benachbarten Hügelkamm: das Dorf Shonga, erklärt Mvano. In diesem kleinen Ort hoch oben in den Bergen mit nur rund 800 Einwohnern will er seine Wahlkampftour beginnen.
Mvano weiß: In Shonga gibt es seit drei Jahren schlimme Konflikte. "Damals kam ein einflussreicher Geschäftsmann an und hat das ganze Ackerland hier für sich beansprucht", so Mvano. Die Bevölkerung protestierte. Zu Fuß sind Frauen und Kinder bis nach Goma marschiert und haben dort vor dem Büro des Gouverneurs fast vier Tage ausgeharrt, sogar im Regen, erinnert sich Mvano. "Das hat eine negative Dynamik erzeugt, denn die Polizei wurde losgeschickt, und nachdem sie alle Anführer von Shonga verhaftet hatten, haben Polizisten und Soldaten das ganze Dorf abgebrannt."
Landkonflikte sind ein typisches Problem in Masisi. Oft werden sie ethnisch aufgeladen und letztlich mit Waffengewalt ausgefochten. Viele sind seit über 20 Jahren ungelöst: Als der Krieg im kleinen Nachbarland Ruanda 1990 ausbrach, der vier Jahre später in einen Völkermord an den Tutsi mündete, führte dies auch zu ethnischen Konflikten in Masisi. Die dort heimischen Tutsi flohen, ließen ihre Bauernhöfe und Kühe zurück. Die Volksgruppen der Hutu und der Hunde, welcher Mvano angehört, zankten sich um die verwaisten Ländereien.
In Shonga leben Bauern der Ethnie der Bahunde und der Hutu zusammen. Der Großgrundbesitzer, der ihnen das Ackerland wegnehmen wollte, ist mit einer Tutsi-Frau verheiratet, die das Land für ihre Kuhherde beanspruchte. Mvano zeigt auf einen Berg, der sich hinter Shonga in den Himmel streckt - ein strategisch wichtiger Hügel, sozusagen das Eingangstor nach Masisi. Seit ihrer Flucht in den 1990ern haben die Tutsi immer wieder versucht, ihre Farmen und Kühe zurück zu erobern. Meist stapften die Tutsi-Rebellen durch Shonga, und die dortige Bevölkerung musste fliehen.
Wahlkampfrede in der Kirche
Keuchend marschiert Mvano weiter: über Kartoffeläcker, durch kleine Bäche, mitten durch die Kuhfladen. Frauen in bunten Stofftüchern, die gerade ihre Gemüsebeete umgruben, kommen angelaufen. Mvano schüttelt schmutzige Hände. Die Frauen schließen sich ihm an. Als er endlich in Shonga ankommt, folgen ihm Dutzende Leute. Mvano wird von Dorfvorsteher Francois Maheshi begrüßt. Der alte Mann mit den Zahnlücken und einem kaputten Flip-Flop an den Füßen wirkt aufgeregt. Der Dorfchef führt Mvano zur Kirche auf der Spitze des Hügels, einer Hütte aus Holzlatten mit gezimmerten Bankreihen. Darauf hocken Männer, Frauen mit ihren Babys in Tragetüchern, Kinder und Alte: Sie alle wollen hören, was Mvano ihnen zu sagen hat.
Doch erst hält Dorfvorsteher Maheshi eine Ansprache: "In Shonga haben wir zwei Probleme", sagt er: die Schule und die Straße. Die Schule wurde durch einen Brand 2015 zerstört. Seitdem müssen die Schulkinder mehr als fünf Kilometer weit ins nächste Dorf laufen. Doch nach Shonga gibt es keine Straße. "Da unser Dorf und unsere Wirtschaft komplett zerstört wurde, haben wir nicht einmal mehr Geld, um eine zu bauen", klagt der Dorfchef und richtet sich an Mvano: "Wir wären sehr dankbar, wenn jemand sich für unsere Probleme einsetzen würde." Nicht einmal Handy-Empfang gibt es hier.
Sprecher der kleinen Leute
In seiner einstündigen Rede versichert Mvano, dass er sich in der weit entfernten Hauptstadt für die Probleme der Einwohner Masisis einsetzen werde. Dafür bekommt er Applaus. Nie zuvor ist ein Kandidat in Shonga vorbei gekommen. Doch es wirkt, als hätten die Menschen hier all die Versprechen schon einmal gehört - und würden nicht mehr so recht an sie glauben.
Mvano ist sich dessen bewusst, sagt er: "Die Wahrnehmung der Bevölkerung ist der Schwäche der Politiker geschuldet", kritisiert er. Die meisten Politiker nutzten das Machtspiel, um sich zu bereichern, erklärt er. Sobald sie ins Parlament in der 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa gewählt worden seien, hörten sie auf, sich mit den Problemen der Bevölkerung in ihrem Wahlkreis zu beschäftigen.
Deswegen ist es für Mvano wichtig, dass regelmäßig Wahlen stattfinden, selbst wenn sie von vornherein umstritten sind. Nach Abschluss der Wähler-Registrierung ist schon jetzt klar, dass mindestens zehn Millionen Kongolesen sich nicht an der Wahl beteiligen werden. Es gibt Kritik an den neu eingeführten elektronischen Wahlmaschinen. Damit seien die Wahlen noch leichter zu manipulieren als zuvor, kritisiert die Opposition. Doch Mvano findet, jede Wahl trage zur demokratischen Entwicklung des Landes bei, damit es "eines Tages eine gut durchgeführte Wahl" geben werde.
Der Dorfvorsteher beendet die Wahlkampfveranstaltung mit einem Gebet. Vor allem eines soll Gott den Kongolesen bringen: den Frieden.