Demonstranten in Hongkong stürmen Parlament
1. Juli 2019Die Gruppe von mehreren Hundert Menschen drang mit einem provisorischem Rammbock, zusammengebastelt aus Rollwagen, Metallstöcken und Gerüstteilen in das Regionalparlament ein. Die Demonstranten, hauptsächlich Studenten, ausgerüstet mit Schutzbrillen, Atemmasken und Helmen, zertrümmerten die verstärkte Glasfront im Eingangsbereich, um sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen. Sie zerstörten Teile der Einrichtung, rissen Bilder herunter und sprühten Grafittis an die Wände.
Wie die Hongkonger Zeitung "South China Morning Post" berichtete, zog sich die Polizei zunächst aus dem Parlament zurück. Zuvor hatten die mit Schlagstöcken und Pfefferspray ausgestatteten Einsatzkräfte über Stunden versucht, zu verhindern, dass die Demonstranten in das Gebäude gelangen. Die Polizei drohte den Randalierern, das Gebäude mit "angemessener Härte" zu räumen und ging vor dem Gebäude mit Schlagstöcken und Tränengas gegen Sympathisanten vor. Als Bereitschaftspolizisten das Parlament schließlich stürmten, hatten die meisten Demonstranten das Gebäude bereits verlassen. Die Sicherheitskräfte stießen auf wenig Widerstand, als sie in den Vorhof des Parlamentsgebäudes vorstießen. Mit Werkzeugen räumten sie Barrikaden, welche die Aktivisten errichtet hatten.
Während die Lage im Regierungsviertel eskalierte, nahmen am Abend in der Stadt Hunderttausende Menschen an einem friedlichen Protestmarsch teil. Sie demonstrierten am 22. Jahrestag der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China erneut gegen die Regierung und ein umstrittenes Auslieferungsgesetz, das seit Wochen zu Protesten führt. Um nicht in die Nähe der Ausschreitungen zu geraten, hatten die Organisatoren des großen Protestmarsches kurzfristig ihre Route geändert.
Vielerorts hingen Transparente mit der Aufschrift "Free Hong Kong" an Brücken. Das Gesetz, das Auslieferung von Ausländern an China ermöglichen soll, wurde inzwischen zwar auf Eis gelegt, die Demonstranten verlangen aber die vollständige Abschaffung.
Hongkongs Politelite hat offenbar Angst vor der eigenen Bevölkerung
Die Volksrepublik China bestreitet zwar eine Einflussnahme auf die Regierung der Sonderverwaltungszone. Unter den Demonstranten ist aber die Ansicht verbreitet, dass das Auslieferungsgesetz nur ein weiterer Schritt hin zur vollständigen Kontrolle Chinas sein soll. Hongkongs umstrittene Regierungschefin Carrie Lam und die geladenen Gäste verfolgten anders als sonst üblich die traditionelle Fahnenzeremonie zum Jahrestag nicht im Freien, sondern auf einem Bildschirm in einem nahe gelegenen Kongresszentrum, was offiziell mit schlechtem Wetter begründet wurde.
Erste Auswirkungen auf den Finanzplatz
Inzwischen werden erste Auswirkungen der Lage auf die Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzmetropole bekannt. Wohlhabende Geschäftsleute beginnen damit, Hongkong zu verlassen, und versuchen, ihren Besitz in Sicherheit zu bringen, wie Anwälte und Banker aus der Wirtschaftsmetropole berichten.
Am 1. Juli 1997 hatte Großbritannien seine Kronkolonie Hongkong an China zurückgegeben. Eigentlich stehen den Hongkongern laut Rückgabevertrag bis 2047 mehr Freiheiten zu als den Chinesen in der Volksrepublik. Doch immer mehr Hongkonger haben den Eindruck, dass Peking schon jetzt ihre Rechte beschneidet.
qu/uh (rtr, dpa, afpe)