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Politik

Deniz Yücel ist "eher eine Geisel"

8. Mai 2017

Safak Pavey ist eine der wenigen, die den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in seiner Haft besuchen dürfen. Die Deutsche Welle hat mit der Oppositionspolitikerin gesprochen.

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Deniz Yücel
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel sitzt in Istanbuls Silivri-Gefängnis in Untersuchungshaft. Er ist im Februar verhaftet worden unter dem Vorwurf "terroristische Propaganda" verbreitet zu haben. Die Untersuchungshaft kann in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern.

Deutsche Welle: Sie haben vor kurzem Deniz Yücel im Gefängnis besucht. Wie geht es ihm?

Safak Pavey: Deniz' Psyche und innerer Wille sind beeindruckend. Er ist sehr couragiert und stark, obwohl er sich in Einzelhaft befindet und vermutlich die Briefe an ihn nicht erhält, weil sie ihm nicht ausgehändigt werden. Er ist aber sehr dankbar für die weltweite Unterstützung.

Was hat er Ihnen über seine Haftbedingungen erzählt?

Seine Zelle ist vier mal sechs Meter groß, entsprechend gering ist die Bewegungsfreiheit. Er hat keinen Kontakt zu anderen Insassen. Über den kleinen Hof vor seiner Zelle kann er die Stimmen der anderen [Häftlinge] hören, aber nicht sehen. Er bekommt nur ein wenig Sonne und kann den Himmel kaum sehen, weil sie den Hof vor kurzem mit Stacheldraht abgedeckt haben, um den Austausch zwischen Gefangenen zu unterbinden.

Er hat Zugang zu einigen türkischen Zeitungen und hört Radio. Das Wichtigste für ihn ist es den Anschluss an die Welt, die Nachrichten nicht zu verlieren. Das ist seine Leidenschaft. Wir versuchen in unseren Unterhaltungen so humorvoll wie möglich zu sein – Deniz ist darin ein wahrer Meister. In einem unserer Gespräche sagte er: "Wenn ich mich in der Gefängnisbibliothek umsehe, dann sehe ich die Namen vieler derzeit inhaftierter türkischer Autoren. Mein Rat an alle anderen Schriftsteller wäre deshalb: Passt auf, dass ihr nicht auch hier landet."

Die Gefängnisbesuche unterliegen strengen Regeln. Wie läuft ein Besuch ab?

Familienmitglieder haben freies Besuchsrecht, dass heißt sie können ihn in einem öffentlichen Raum umarmen oder die Händeschütteln - aber nur einmal im Monat. Als Abgeordnete habe ich jederzeit das Privileg auf Besuche, wenn ich eine Genehmigung bekomme. Dann können wir uns in einem Besuchszimmer treffen, natürlich unter der Beobachtung der Wächter. Es gibt auch Kameras, aber ich bin nicht sicher ob wir gefilmt werden. In dem Raum gibt es einen Tisch und einen Stuhl auf jeder Seite. Deniz wird hereingeführt, während ich schon warte.

Türkei Safak Pavey
Safak Pavey besucht den inhaftierten Journalisten so oft wie möglichBild: DW/Ö. Coşkun

Nach 20 Minuten bekomme ich ein Zeichen und ich frage dann, ob ich die Erlaubnis für 20 weitere Minuten bekomme. Wir versuchen bis zu einer Stunde zu sprechen. Weil er in Einzelhaft ist, versuche ich ihn so lange wie möglich zu treffen und ihn zu umarmen im Namen seiner Liebsten, seiner Familie und Freunde. Ich überbringe ihm die Botschaften von ihnen, ich bin die Botin, die ihn mit dem Rest der Welt verbindet.

Als Deniz Yücel vor kurzem seine Freundin heiratete, damit sie Besuchsrecht bekommen kann, waren Sie als amtliche Zeugin anwesend. Wie war das?

Es war für uns alle ein Anlass zur Freude. Ich habe bei den Vorbereitungen geholfen und die Nachrichten überbracht, weil seine Freundin ihn nicht sehen konnte. Es war für alle eine große Freude, auch die beiden Wächter, die diesen frohen Moment zwischen dem Paars miterleben konnten: Die beiden sahen sich nach 40 Tagen zum ersten Mal wieder, umarmten sich und sprachen miteinander. Nachdem wir das Gefängnis verließen, waren wir noch alle gemeinsam essen, aber wir vermissten Deniz. Dennoch war es ein hoffnungsvolles Wiedersehen, da seine Frau ihn jetzt mindestens einmal die Woche sehen kann.

Warum helfen Sie Deniz?

Ich will sicher gehen, dass seine Haftbedingungen in Ordnung sind und er sich nicht alleine fühlt. Noch gibt es keine Anklage gegen Deniz, keinen konkreten Vorwurf, also auch kein Verbrechen. Aber es gibt eine Bestrafung, das ist die Ironie.

Ich kann Deniz nicht mal einen Häftling nennen, denn in meinen Augen ist er eher eine Geisel - wie viele andere Journalisten, die in Silivri inhaftiert sind. Es ist eine unrechtmäßige willkürliche Verlängerung der Festnahme. Das Rechtssystem in meinem Land ist nicht da um Recht zu schaffen, sondern funktioniert nur noch als Propagandamaschine der Regierung, um jede Stimme [gegen sie] nach ihrem Belieben zu ahnden.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat deutlich gemacht, dass er Yücel als "Terrorist" betrachtet und ihn nicht nach Deutschland ausliefern will. Was hoffen Sie für Deniz Yücels Zukunft?

Es muss erstmal klar sein, was die Anklage der Staatsanwaltschaft ist. Es muss ein faires Verfahren geben und der Prozess muss beschleunigt werden. Jeder Tag, den Deniz im Gefängnis verbringt, ist ein Verstoß gegen jegliche Prinzipien von Menschenrechten, Freiheit, ganz besonders der Pressefreiheit. Ihm wird verweigert, seine Unschuld zu beweisen. Er wird benutzt um die Menschen in der Türkei und weltweit einzuschüchtern, es ist ein Beweis des Autoritarismus. Deniz und alle anderen gefangengenommenen Journalisten müssen freigelassen werden, aber dafür müssen wir wissen, was ihnen vorgeworfen wird.

Safak Pavey ist Mitglied der Oppositionspartei CHP im türkischen Parlament.