Kölsche Selbstgeißelung
12. Oktober 2017Im Fußballgeschäft gibt es wiederkehrende Muster. Eines davon: Wenn ein Verein in eine Krise schliddert, fordern Trainer, Sportdirektor und Klubführung von den Spielern mehr Einsatz, mehr Konzentration, mehr Seriosität. Und in Köln? Dort hätten die Verantwortlichen allen Grund für ernste Appelle in Richtung Mannschaft. Sieben Spiele, sechs Pleiten, ein Remis und nur ein mageres Pünktchen - Tabellenschlusslicht. Doch die Töne, die man aktuell in Köln hört, klingen anders.
"Ich spreche mich nicht von Schuld frei", sagte Trainer Peter Stöger auf der Pressekonferenz vor der möglicherweise wegweisenden Partie beim VfB Stuttgart (Freitag, ab 20:30 Uhr MESZ im DW-Liveticker). Der Coach betont, er sei der, der verantwortlich sei, das es nicht laufe. "Ich muss halt Rede und Antwort stehen." Stöger stellt sich dabei schützend vor sein Team. Damit ist er sicher nicht der erste Trainer, doch der Österreicher tut es mit großer Gelassenheit und spürbarem Vertrauen in seine Mannschaft. Schon in den letzten Wochen hatte Stöger seine Mannschaft immer wieder mental aufgebaut, sie als "stabil" bezeichnet, obwohl diese alles andere als das wirkte. Vieles funktioniere im Team, betonte er und redete Fehler seiner Spieler klein: Man werde "für Nuancen bestraft" und im Spielaufbau gebe es "nur kleine Probleme".
Der FC ist ein Schatten seiner selbst
Neutrale Beobachter können das mit Fug und Recht als leicht untertrieben bezeichnen. Der FC spielt derzeit wie ein Schatten seiner selbst. Im Vorjahr noch mit Enthusiasmus und Spielwitz in die Europa League gestürmt, in der aktuellen Saison seltsam lethargisch und ziemlich desorganisiert. Schon 15 Gegentreffer ließ die Abwehr zu und leistete sich dabei zum Teil haarsträubende Fehler (wie jüngst gegen RB Leipzig). Noch frappierender: der nicht vorhandene Sturm. Ohne den nach China gewechselten Anthony Modeste ist Köln völlig ungefährlich. Ganze zwei Tore brachte die Domstadt-Elf bisher zustande. Neuzugang Jhon Cordoba (25 Torschüsse, kein Treffer) bewies in den ersten Spielen allen, dass er kein Modeste-Ersatz ist und fehlt nun zudem verletzt. Die Tatsache, dass zwischenzeitlich eilig der bis dahin vereinslose 39-jährige Claudio Pizarro verpflichtet wurde und sogar eine Rückkehr von Modeste nicht mehr ausgeschlossen wird, lässt eine gewisse Verzweiflung erkennen.
Nach außen versucht die sportliche Leitung diesen Eindruck zu zerstreuen. Insbesondere Manager Jörg Schmadtke hat ein gutes Gespür dafür, wann er Druck von der Mannschaft nehmen muss. Er schließt sich Stöger an und nimmt lieber Schuld auf sich als die Spieler zu kritisieren. Seine Rolle als "Punchingball" ertrage er gerne, "solange wir nicht dahin kommen, dass ich als Person diskreditiert werde", sagte er dem Sportmagazin "Kicker". "Es hat den unschätzbaren Vorteil, dass Trainer und Spieler in Ruhe arbeiten können."
Aufbaugegner Stuttgart?
Genau das ist das Kalkül: Die herabprasselnde Kritik mit einem Regenschirm aus Lob und Fürsorge von der Mannschaft weghalten - auf das die das Vertrauen hoffentlich bald wieder mit Erfolgen zurückzahlt. Am besten schon beim VfB Stuttgart, so etwas wie der Lieblingsgegner des FC. In Stuttgart ist man seit 21 Jahren ungeschlagen. Dabei sollte es bleiben, wenn der Burgfrieden rund um das Geißbockheim halten soll. In Köln, wo es in früheren Zeiten angesichts eines solch desolaten Saisonstarts schon längst gekracht hätte, probieren sie es weiter mit der gleichen Gelassenheit, die Schmadtke auch angesichts der im Vorjahr aufgekommenen Europapokal-Euphorie an den Tag gelegt hatte. Eine konsequente Linie, die Respekt verdient.
Sie darf jedoch nicht von den real existierenden Problemen ablenken. Das Defensivverhalten ist zu passiv. Die Kreativität im Spiel ist völlig abhängig von der Tagesform von Leonardo Bittencourt. Und im Angriff fehlt es an Optionen. Simon Zoller und Sehrou Guirassy jagen derzeit niemanden Angst ein, Claudio Pizarro fehlt es (noch) an Luft für 90 Minuten und Yuya Osako dürfte der Jetlag seiner Länderspielreise noch in den Knochen stecken. Kann Köln also wirklich in Stuttgart die Wende einleiten? Nur so viel: Gelingt es nicht, wird die Strategie der demonstrativen Gelassenheit nicht mehr lange funktionieren.