Besuch in Cubazuela
23. November 2006Oramaika ist spät dran, selbst für venezolanische Verhältnisse. Die Mitarbeiterin des Außenministeriums hatte für den Besuch der Missionen plötzlich kein Auto mehr übrig. Also musste Oramaika in der Verwandtschaft herumtelefonieren. Irgendwann war ein Ersatz gefunden, ein etwas älterer Chevrolet ohne Seitenspiegel und Blinker, aber zumindest mit Fahrer, einem Freund von Oramaikas-Familie.
Die offizielle Delegation, die mich an diesem Tag begleiten wird, besteht auch noch aus Jose, Orphelia und Nery. Sie sind Chávez-Fans und helfen in ihren Stadtvierteln der Hauptstadt Caracas in den Sozialprogrammen mit. Mit dabei auch Deisiree, eine Praktikantin aus dem Außenministerium. Sieben Personen in dem Chevrolet, da wird es eng. Eines ist dem Reporter klar: Mit dem Auto will man ihn auf jeden Fall schon mal nicht beeindrucken. Ich frage den Fahrer, ob er mir die Kurbel leiht, damit ich das Fenster heruntermachen kann.
Offizielle Führungen haben immer etwas Anrüchiges. In der Regel ist alles perfekt durchgeplant, man bekommt nur das zu sehen, was gesehen werden soll. Bei diesem Besuch wird aber schnell klar: wenn es einen Plan gibt, dann den, zu improvisieren. Mir sollen vor allem die Errungenschaften der so genannten Mission "Barrio Adentro" vorgeführt werden, die die kostenlose medizinische Versorgung der armen Bevölkerung zum Ziel hat. Wir fahren nach "El Valle", eines der armen Viertel der Vier-Millionen-Stadt.
Eliezer, Arzt aus Kuba
Im Diagnostikzentrum empfängt uns Eliezer, Arzt aus Kuba. Er ist 34 Jahre und seit drei Jahren in Venezuela. Insgesamt sind rund 18.000 kubanische Ärzte in Venezuela, im Gegenzug liefert Venezuela Erdöl nach Kuba. "Wir haben nichts zu verbergen", sagt er mehrmals. "Machen Sie Fotos, sprechen Sie mit den Patienten". Nur er dürfe keine Interviews geben, so Leid es ihm tue. Doch am Ende spricht er doch. Er hat wohl eingesehen, dass es keinen Sinn macht, stumm mit dem Journalisten durch das Zentrum zu laufen. Je länger der Besuch dauert, umso mehr Spaß scheint es ihm zu machen. Er hat Talent zum Moderator und Verkäufer: "Unser Equipment ist hochmodern, nagelneu", schwärmt er. Überall schauen wir rein, beim Augenarzt, Kinderarzt, Radiologen, Gynäkologen, Traumatologen, etc.
Es ist viel los. Eine Patientin ist zu einer Augenuntersuchung gekommen. "Früher mussten wir stundenlang in den Krankenhäusern warten, das ist besser geworden. Außerdem wohnen die Ärzte jetzt bei uns im Viertel", sagt sie mit einem breiten Lächeln. "Viva Chávez", fügt sie dann noch hinzu.
Die achteckige Arztpraxis
Ein paar Straßen weiter vom Diagnostikzentrum steht eine der 8500 Arztpraxen, die bisher für die kubanischen Ärzte im ganzen Land gebaut worden sind. Langfristig sollen die kubanischen Ärzte durch venezolanisches Personal ersetzt werden, sagt Eliezer. Die Gebäude sehen alle gleich aus. Achteckiger Grundriss, zwei Stockwerke. Oben wohnt der Arzt, unten ist sein Behandlungszimmer. "Die Leute aus dem Viertel können jederzeit kommen", sagt Eliezer. "Sie werden alle kostenlos behandelt, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung." Eliezer wehrt sich gegen den Vorwurf, man müsse sich die Hilfen durch Loyalität zur Regierung erkaufen.
Ruben Laya schaut vorbei. Er möchte mir unbedingt noch sein "conuco" zeigen, das er mit anderen Nachbarn hier pflegt. "Ich habe früher auf dem Land gearbeitet", sagt er. "Meine Freunde haben mir nicht geglaubt, dass ich hier mitten in Caracas ein 'conuco' habe." Conuco ist ein Stück Land, auf dem Gemüse angebaut wird. "Früher hausten hier auf dem Grundstück die sieben Plagen", sagt Ruben. "Wir haben den ganzen Müll und Dreck weggeräumt, jetzt bauen wir Kürbisse, Tomaten, Mais, Gurken, Petersilie und Salat hier an." Die Leute, die das Land bewirtschaften, machen das freiwillig und ohne Lohn, viele sind Rentner. Auch sie sind alle Chávez-Fans. "Ich finde Chávez gut, weil er uns in der urbanen Landwirtschaft unterstützt."
Einkaufen im Mercal
Die letzte Station auf unserer Missionen-Tour: Wir besuchen ein Mercal-Geschäft. Der staatlich organisierte Lebensmittelvertrieb gilt als die erfolgreichste Mission der Chávez-Regierung. Etwa die Hälfte aller Venezolaner hat nach unabhängigen Umfragen schon einmal in einer der 13.700 Mercal-Filialen eingekauft. Zum Verdruss der privaten Lebensmittelgeschäfte, gibt es immer mehr Mercal-Filialen nicht mehr nur in armen Stadtvierteln. Im Durchschnitt liegen die Preise dort 40 Prozent niedriger als in normalen Supermärkten. Zu haben sind vor allem Grundnahrungsmittel: Mehl, Zucker, Reis.
Die Schlange vor dem Mercal-Geschäft, das wir besuchen, ist besonders lang: Es gibt Hähnchen. "Bei uns bekommen sie zwei Hähnchen für 1900 (ca 70 Cent), in einem normalen Geschäft müssen sie für ein einziges etwa zwei Euro hinlegen", erklärt mir der Geschäftsführer. Die niedrigen Preise werden vor allem über das Ausschalten von Zwischenhändlern erreicht.
In dem Mercal-Geschäft gibt es auch noch eine "Volksapotheke". Ob Antibiotika oder Cholesterinsenker: Medikamente gibt es hier mit bis zu 85 Prozent Preisnachlass. Allerdings ist das Angebot sehr beschränkt. Medikamente wie Insulin, die gekühlt werden müssen, gibt es nicht. Es fehlt an Kühlschränken.
Oramaika verabschiedet sich. Sie hat sich weitgehend zurückgehalten. Sie sagt nur so viel. "Die Revolution ist ein Prozess. Das oberste Ziel der Chávez-Regierung ist, denen zu helfen, die jahrelang diskriminiert und ausgegrenzt waren." Die anderen der Delegation nicken zustimmend. Am Ende gibt mir Oramaika noch "revolutionäre Grüße" mit auf den Weg. Für den Rückweg nehme ich den Bus.