Der Arzt kommt per Bildschirm
9. Dezember 2013Im internationalen Vergleich ist Deutschland mit Ärzten gut versorgt: 3,84 Ärzte kommen auf 1000 Einwohner - in den USA beispielsweise betreuen im Schnitt 2,46 Kollegen die gleiche Menge an Patienten. Wie die Mediziner, vor allem die Spezialisten, über das Land verteilt sind, darüber sagen diese Zahlen allerdings wenig aus. "Wir haben jetzt schon in manchen ländlichen Regionen die Situation, dass der Besuch eines Facharztes für den Patienten fast eine Tagesreise bedeutet. Die Zeit drängt auf Lösungen." So sieht es Wolfgang Loos, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin. Eine der Lösungen ist laut Loos, dass Ärzte künftig verstärkt über den Bildschirm betreuen - indem sie sich per Videoübertragung ins Haus der Patienten schalten oder das Krankheitsbild über permanente Datenströme digital erfassen.
In die Schlaganfall-Versorgung hat die digitale Medizin in Deutschland längst Einzug gehalten: Kleine Krankenhäuser sind mit Spezialkliniken vernetzt und können Fachärzte per Videokonferenz zuschalten, wenn sie Fragen haben. Auch für chronisch kranke Herzpatienten ist Telemedizin keine Zukunftsmusik mehr: Viele sind über Messgeräte mit einem medizinischen Zentrum vernetzt - verschlechtert sich ein Wert, ruft das den Arzt auf den Plan. Allerdings sind der Telemedizin in Deutschland bislang klare Grenzen gesetzt.
Kontakt von Mensch zu Mensch
Ärzte dürfen in Deutschland keine Diagnose stellen, ohne einen Patienten vorher unmittelbar behandelt zu haben - das gilt auch für telemedizinische Verfahren. So sieht es das sogenannte Fernbehandlungsverbot vor, ein Paragraf aus der Musterberufsordnung für Ärzte. In der Schweiz sind Ferndiagnosen weniger restriktiv geregelt als in Deutschland. Beim Baseler Unternehmen Medgate beispielsweise können Patienten sich telefonisch beraten lassen und erhalten in manchen Fällen auch Rezepte.
"Das Wort Tele- steht bei Medgate in erster Linie noch für Telefon. Das hat mit der Telemedizin, wie wir sie uns vorstellen, noch wenig zu tun", sagt Franz Bartmann, Vorsitzender des Telematik-Ausschusses der Bundesärztekammer. Er plädiert dafür, dass das Fernbehandlungsverbot in Deutschland mit den zunehmenden Möglichkeiten für telemedizinische Verfahren gelockert wird - betont dabei aber auch: "Der direkte Kontakt zwischen Arzt und Patient ist nach wie vor in den meisten Fällen unverzichtbar."
An den Bedürfnissen mancher Patienten vorbei
In Deutschland seien die Kranken gewohnt, einen direkten Draht zum Doktor zu haben - darin sieht Franz Bartmann einen Grund, weshalb Telemedizin manchmal nicht den Nerv der Bevölkerung trifft. Er verweist dabei auf andere Gewohnheiten, etwa in Skandinavien: "Wenn Sie in Schweden krank werden, dann haben Sie eine Telefonnummer und landen bei einer Krankenschwester. Die entscheidet, in welche Versorgungsstufe Sie eingegliedert werden - der Arzt kommt erst zum Schluss."
Außerdem stehen der Ausweitung der Telemedizin in Deutschland auch technische Barrieren im Weg: In vielen Regionen geht der Ausbau von schnellen Internetverbindungen nur schleppend voran, an Videokonferenzen oder die Übermittlung von digitalen Patientendaten ist dabei nicht zu denken - betroffen sind gerade ländliche Regionen, für die zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium die Telemedizin als besonderen Vorteil preist.
Aus digitaler Medizin wird globale Medizin
Gleichzeitig zieht die Telemedizin inzwischen weltweite Kreise. So beschreibt Wolfgang Loos von der Gesellschaft für Telemedizin beispielsweise die Kooperation zwischen dem Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main und einer Klinik im südostasiatischen Sultanat Brunei: Deutsche Spezialisten können per Videokonferenz rund um die Uhr den Kollegen in Asien zugeschaltet werden. Ein weiteres Beispiel sei ein telemedizinisches Projekt der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau in Vietnam: "Es sieht vor, dass verschiedene Krankenhäuser in ländlichen Regionen mit einem zentralen Krankenhaus in Hanoi telemedizinisch vernetzt werden."