Ungarn Rechtsextremismus
7. Dezember 2011Der neue Jobbik-Slogan bei öffentlichen Kundgebungen lautet: "Die Panzer sind abgezogen, die Banken gekommen." Ungarn würde nun vom "Judenkapital" beherrscht, statt von den Russen. Und auch im Parlament beschuldigen Jobbik-Abgeordnete sowohl die populistisch-nationalkonservative Regierungsmehrheit als auch die Opposition, statt ungarischer Interessen israelische zu vertreten.
Aufstieg der Rechtsextremen
Rechte Parolen finden bei großen Teilen der ungarischen Öffentlichkeit Anklang, umso mehr, seit in den vergangenen Jahren etwa eine Million Ungarn Fremdwährungskredite aufgenommen haben, die sie nun durch den Verfall der Landeswährung Forint immer schwerer zurückzahlen können. In neuesten Meinungsumfragen kommt die Jobbik-Partei auf rund 20 Prozent der Wählerstimmen und ist damit zum ersten Mal die zweitstärkste politische Kraft – nach der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten), und deutlich vor der sozialistischen Opposition. Der stellvertretende Jobbik-Fraktionschef Márton Gyöngyösi jubelt: "Wir werden immer stärker, niemand kann uns aufhalten."
Der Aufstieg der Rechtsextremen ist beispiellos in der postkommunistischen Geschichte Ungarns. Doch die Gründe liegen nicht nur in der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise:
Noch bevor Ungarn den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft abgeschlossen hatte, trafen 2004 das Land die Folgen des EU-Beitritts. Die sozialistisch-liberale Koalition, die von 2002 bis 2010 regierte, packte viele drängende ökonomische und soziale Probleme nicht an, sondern machte vor allem durch Korruptionsskandale von sich reden. Das Scheitern dieser Koalition führte schließlich zum überwältigenden Sieg von Fidesz bei den Parlamentswahlen im April letzten Jahres, bei denen die heutige Regierungspartei zwei Drittel der Parlamentsmandate errang.
"Ungarn den Ungarn!"
Schon bei diesen Wahlen bekamen auch die Rechtsextremen der Jobbik-Partei fast 17 Prozent und wurden – nach den Sozialisten – zur drittstärksten politischen Kraft im Land. Vorangegangen war ihrem Erfolg eine äußerst fremdenfeindliche und antiziganistische Wahlkampagne unter dem Motto "Ungarn den Ungarn!"
Mit Antiziganismus begann auch der spektakuläre Aufstieg der Jobbik-Partei vor wenigen Jahren. Im Herbst 2006 wurde ein Lehrer aus der ostungarischen Stadt Tiszavasvári im Dorf Olaszliszka von einer Gruppe Roma zu Tode geprügelt, nachdem er ein Roma-Mädchen angefahren hatte. Die Familie glaubte, ihre Tochter sei tot – in Wirklichkeit war sie kaum verletzt und hatte sich nach dem Unfall nur versteckt. Der Mann wurde vor den Augen seiner beiden minderjährigen Töchter von dem Mob gelyncht.
Der Mord erschütterte die ungarische Gesellschaft und führte zu einem radikalen Stimmungsumschwung. "Die" Roma wurden für schuldig erklärt, rechtsextreme Gruppierungen erlebten rapiden Zulauf, vor allem die Jobbik-Partei. Aber nicht nur: In den Jahren 2008 und 2009 verübten rechtsterroristische Attentäter eine grausame Anschlags- und Mordserie. Unter anderem erschossen sie im Dorf Tatárszentgyörgy einen Vater und seinen fünfjährigen Sohn, die aus den Flammen eines zuvor in Brand gesetzten Hauses flüchteten. Die Mehrheit der ungarischen Gesellschaft reagierte nur gleichgültig auf diese Verbrechen.
Ein vorübergehendes Phänomen?
Das gegenwärtige Umfragehoch der Rechtsextremen hat vor allem damit zu tun, dass die Regierung an Zustimmung verliert, nachdem sie eine Reihe unpopulärer Entscheidungen zur Stabilisierung der Wirtschaft getroffen hat. So wurden vergangenen Herbst private Rentenfonds verstaatlicht, um das Haushaltsdefizit zu decken. Den Vertrauensverlust versuchen Regierungschef Viktor Orbán und andere Fidesz-Politiker durch eine nationalistische Rhetorik aufzuhalten, die von den Rechtsextremen kopiert wurde.
Populistisch wettert Orbán gegen den Kapitalismus und die EU. Brüssel hat er in den vergangenen Monaten mehrmals gewarnt, sich nicht dasselbe wie einst Moskau zu erlauben. Das sei eine verlogene Rhetorik, beschwert sich der Jobbik-Vize-Fraktionschef Márton Gyöngyösi, "weil ihr keine Taten folgen".
Trotz des Jobbik-Erfolges rechnen politische Beobachter nicht mit einer Machtübernahme der Partei, jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft. "Ihr Aufstieg in den Umfragen ist ein vorübergehendes Phänomen", sagt József Debreczeni, Ungarns prominentester Publizist. "In der ungarischen Geschichte konnten extreme politische Kräfte immer nur dann regieren, wenn ausländische Mächte nachgeholfen haben - etwa Hitler-Deutschland oder die stalinistische Sowjetunion."
Dennoch sehen Beobachter die Entwicklung mit Sorge. "Wir wissen aus der Geschichte, wie gefährlich der Durchbruch des Rechtsextremismus in Krisenzeiten sein kann", sagt Annamária Vámos, Mitbegründerin und Co-Vorsitzende der Initiative "Zivile Kontrolle – Eine Million für Demokratie" (EMD), die in Ungarn Kundgebungen gegen die antidemokratischen Tendenzen mitorganisiert. "Wir müssen die Wähler der Rechtsextremen, die an sich nicht rechtsextrem sind, aber keine Alternative gesehen haben, für die demokratischen Kräfte zurückgewinnen."
Hauptstadt der Rechtsextremen
Im Städtchen Tiszavasvári haben die meisten Wähler keine Alternative mehr wahrgenommen. Im Oktober letzten Jahres stimmten sie für den Bürgermeisterkandidaten der Jobbik-Partei, Erik Fülöp. Der erst 29-jährige Jurist bekam gleich im ersten Durchgang 53 Prozent der Stimmen. Nach diesem Wahlerfolg rief der Jobbik-Parteichef Gábor Vona den Ort zur "Hauptstadt unserer Bewegung" aus: "Heute Tiszavasvári, morgen Ungarn!"
Fülöp sagt Dinge wie: "Das Zusammenleben mit der Zigeunergesellschaft ist sehr schwer, der Staat tritt die Rechte der Ungarn mit Füßen." In seinem Städtchen demonstriert er erst einmal vorsichtig, wie Ungarn unter einer Jobbik-Herrschaft aussehen könnte: Prostitution wurde verboten, eine Stadtwache gegründet, die vor allem durch die beiden Roma-Viertel patrouilliert. Mutmaßliche (Roma-)Finanzbetrüger wurden bei der Polizei angezeigt, jüdische Investoren sind unerwünscht, während iranische Diplomaten und Geschäftsleute häufig zu Gast im Städtchen sind. "Wir dulden das nicht mehr", sagt Fülöp, "wer Straftaten begeht, soll zittern."
Autor: Keno Verseck
Redaktion: Robert Schwartz