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Der bedächtige Zweifler

Sarah Mersch5. September 2012

Yadh Ben Achour war Chef der wichtigsten Reformkommission in Tunesien nach der Revolution. Für sein Engagement hat der 67-jährige Jurist den diesjährigen Internationalen Demokratiepreis Bonn erhalten.

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Der tunesische Verfassungsrechtler Yadh Ben Achour (Foto: Getty Images) Foto: Fethi Belaid (GettyImages)
Bild: Getty Images

Yadh Ben Achour lachte zunächst, als er am Abend des 14. Januar 2011 hörte, dass Zine el Abidine Ben Ali das Land verlassen habe. Ben Achour dachte, es handele sich um ein neues Gerücht auf Facebook. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Diktator tatsächlich verschwinden würde, der Tunesien 23 Jahre mit harter Hand regiert hatte. Schon wenige Tage später wird der Jurist Ben Achour an die Spitze einer Expertenkommission berufen, die politische Reformen in Angriff nehmen soll. Voller Enthusiasmus machte er sich an die Arbeit, in der Hoffnung, dass aus der spontanen Revolution in Tunesien schnell eine Demokratie entstehen wird. "Die Revolution hat mit der Legende aufgeräumt, dass die Demokratie eine westliche Erfindung ist. Sie ist in Tunesien spontan entstanden, ohne Einmischung von außen."

Inzwischen, gut anderthalb Jahre nach der Revolution in Tunesien, ist von der Begeisterung Ben Achours wenig geblieben. Die aus mehreren Parteien bestehende Übergangsregierung wird von der islamistischen Ennahdha dominiert. Diese Partei versuche, ihre religiöse Agenda um jeden Preis umzusetzen, obwohl sie gar nicht an der Revolution beteiligt war, meint Ben Achour. Dass die Wahlen diese Partei an die Spitze katapultiert hat, wundert ihn bis heute. "Während der ganzen Revolution hat niemand religiöse Slogans gerufen, das Wahlergebnis hat nichts mit dem Geist der Revolution zu tun."

Bei null angefangen

In den anderthalb Jahren seit der Revolution wurde die politische Landschaft Tunesiens radikal umgekrempelt. Immer wieder verschieben sich die Gewichte, linke und konservative Kräfte machen Druck. Auch Experten wie Ben Achour wurden von den Ereignissen manchmal überrascht. Der heute 67-Jährige sollte Anfang 2011 eigentlich zusammen mit den Kollegen der Expertenkommission die alte tunesische Verfassung umarbeiten. Doch der Druck von der Straße war groß - eine neue Verfassung sollte her, einen klaren Schnitt mit der Vergangenheit forderten die Demonstranten immer wieder.

Demonstration gegen Diktator Ben Ali im Februar 2011 in Tunis (Foto: AP)
"Die tunesische Revolution hatte niemals einen religiösen Charakter"Bild: AP

Schließlich gab die Übergangsregierung nach. Im Oktober wählten die Tunesier daher in den ersten freien Wahlen eine verfassunggebende Versammlung, die aber nicht an die Vorgaben des Ben-Archour-Teams gebunden ist. Und das Gremium kommt mit der Arbeit nicht voran. Die neue Verfassung wird wohl nicht vor dem kommenden Frühjahr fertig werden.

Ben Achour schwankt zwischen Zweckoptimismus und Frust. Wenn man anfange, eine Demokratie aufzubauen, sei das nicht automatisch sofort von Erfolg gekrönt. "Wir bauen gerade die Maschine auf. Wir sind eben kein europäisches Land mit demokratischer Tradition, wir fangen bei null an."

Nach 1987 zurückversetzt?

Das politische Denken wurde Yadh Ben Achour quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Gewerkschafter, ebenfalls Jurist und außerdem Mufti Tunesiens, das islamische Oberhaupt des Landes. Yadh Ben Achour studierte Rechtswissenschaften in Tunis und Paris, wo er auch seinen Doktor machte. Seine Geschwister engagieren sich in der Zivilgesellschaft, doch er selbst hatte sich aus der aktiven Politik fast immer herausgehalten.

Der tunesische Verfassungsrechtler Yadh Ben Achour (Foto: Getty Images)
Yadh Ben Achour, Träger des Internationalen Demokratiepreises BonnBild: Getty Images

Nur nach der Machtübernahme Ben Alis 1987 hatte er einen Posten im Verfassungsrat angenommen, den er 1992 aus Protest gegen antidemokratische Verfassungsänderungen niederlegte. Danach wollte er eigentlich nie wieder in die Politik zurückkehren, erst die Revolution hatte ihn zum Umdenken gebracht. Doch er fühle sich in die Zeit direkt nach dem Machtwechsel 1987 zurückkatapultiert, als der neue Herrscher Ben Ali den Tunesiern Fortschritt und Freiheit versprach. "Ich habe den Eindruck, ich durchlebe noch einmal das Gleiche. Ich habe am Anfang an die Versprechungen Ben Alis geglaubt, und ich dachte, Ennahdha würde sich an ihre Versprechungen halten, ich habe es ehrlich gedacht." Doch jetzt sehe er, dass sich die Partei nicht in eine demokratische Richtung bewege.

Seine einzige Hoffnung bleibt, dass die moderaten Kräfte sich von der islamistischen Partei abspalten. Sie sollten eine islamische, demokratische Partei gründen. Denn "Islam und Demokratie zusammenzubringen, das ist problemlos möglich", davon ist Yadh Ben Achour überzeugt. Er gibt die Hoffnung nicht auf, dass Tunesien dieser Sonderweg gelingen kann.