Der Deutsche flirtet nicht
5. November 2012Der Deutsche an sich ist gründlich. Und wenn er hört, dass Flirten eine Fähigkeit ist, die vor allem Franzosen und Italiener aufs Virtuoseste beherrschen, will er der Sache auf den Grund gehen. Und schaut im Lexikon nach, woher denn das Wort "Flirt" kommt. Man weiß es nicht so richtig. Flirt ist Englisch, aber der Engländer hat es vielleicht vom Franzosen. "Conter Fleurette", da soll es herkommen. Wörtlich: Blümchen erzählen, also Süßholz raspeln, schmeicheln, den Hof machen. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass ein Deutscher Blümchen erzählt?
Also noch mal ein neueres Lexikon befragen: Flirten ist eine erotisch motivierte Annäherung zwischen Personen. Aha. Damit kann auch der Deutsche etwas anfangen. Nur: Besonders filigran ist das nicht unbedingt, was da abläuft, wenn der Deutsche flirtet. "Wenn ich mein Schatz nicht rufen darf, tu ich ihm winken", heißt es in einem Volkslied. Und weiter: "Ja winken mit den Äugelein und treten auf den Fuß - 's ist eine in der Stube drin, die meine werden muss." Da ist beides drin: Erotisch motivierte Annäherung durch zarten Wimpernschlag und durch Fußtritte. Also fahrlässige Körperverletzung.Das Lied der Nibelungen
Das hat Tradition. Die alte Geschichte der schönen, aber unbesiegbaren Brünhild, ihres Verehrers Gunther und des Drachentöters Siegfried steckt uns noch allen in den Knochen. Also das Nibelungenlied. Gunther will Brünhild, die ist aber sauer auf ihn, fesselt ihn in der Hochzeitsnacht und hängt ihn an einen Nagel. Gunthers Kumpel Siegfried hilft aus: Durch die Tarnkappe unsichtbar schleicht er sich nächtens in Gunthers Schlafzimmer und ringt ein paar Runden mit Brünhild. Bis die sich freiwillig ergibt. Siegfried schleicht sich, dieses Mal weg, und Gunther vollzieht die Ehe, wie der Jurist zu sprechen pflegt. Mit ihrer Jungfräulichkeit verliert Brünhild auch ihre magischen Kräfte.
Das versteht der Deutsche unter Flirten: Eine Frau rumkriegen. Dazu muss man sie erst mal anmachen oder anbaggern. Da geht es um Kraft und Macht. Weil sonst der Nagel droht. Wenn's ganz filigran sein soll, spricht man von "anbandeln". Aber alles darüber hinaus - das Rumspielen, Tändeln, Tänzeln, Kokettieren, mit den Wimpern klimpern und den Ohren wackeln, das ganze zierliche Gehabe, das Zuckerwerk, das angeblich zum Umschmeicheln der Mädels gehört, das ist nichts für den deutschen Mann.
Und überhaupt: wieso denn eigentlich Mann? Warum muss der Mann der Frau den Hof machen und nicht sie ihm? Als es noch Höfe gab, da wussten die Damen sehr wohl mit Blicken, Gesten, mit der Haltung ihres Fächers allerfeinste Andeutungen zu machen. Verstanden zu locken und herauszufordern, zu reizen und zu necken. Und wenn die deutsche Frau endlich einmal die ewige Brünhild aus ihren Genen ausschwitzen könnte, dann hätte das Flirten auch in Deutschland eine glänzende Zukunft.