Der die DDR aus den Angeln hob – zum Tod von Pfarrer Christian Führer
1. Juli 2014"Wie wir heute leben, haben wir auch ihm - besonders seinem Mut und seiner Besonnenheit - zu danken", schrieb eine bestürzte Lesern der Todesnachricht im Internet. Christian Führer, der am Montag nach schwerer Krankheit im Alter von 71 Jahren starb, bleibt in Erinnerung. Die Wende in der DDR, der Fall der Mauer, das Ende der bedrückenden Ost-West-Konfrontation – was Führer tat, half die Welt zu verändern.
Er öffnete die Nikolaikirche in Leipzig für Friedensgebete – offen für Gegner wie für Anhänger des Unrechtssystems. "Pfarrer Christian Führer fragte nicht", erinnert ein Nachruf, "ob einer ein frommer Protestant war oder vielleicht gar nicht an Gott glaubte." Wer an seinen Friedensgebeten und Gesprächsabenden teilnehmen wollte, war ihm willkommen. In der Kirche wurde über das atomare Wettrüsten in Ost und West ebenso diskutiert wie über Umweltfragen und Menschenrechte. Menschen strömen in die Nikolaikirche, die es in der DDR nicht mehr aushielten und ausreisen wollten. Andere mochten ihre Stimme erheben, aber bleiben und das Land verändern.
Die Stasi hatte Führer im Visier
"Keine Gewalt", stand über der Protestbewegung, deren Keimzelle Pfarrer Führers Nikolaikirche war und die in die Montagsdemonstrationen münden. Diese saßen als Stachel im Fleisch des Unrechtsstaats. Anfangs wirkten sie sachte, am Ende versetzen sie dem System den Todesstoß. Zunächst waren es wenige Mutige, die aus der Kirche heraus demonstrieren. Die Staatsmacht verhaftete kleine Gruppen. Doch die Zahl der Teilnehmer wuchs, bis im November 1989 die Mauer fiel.
Die Stasi hatte Führer im Visier. Insgesamt 28 Spitzel setzte sie auf ihn an. Die Staatsmacht wollte die Friedensgebete absetzen oder an den Stadtrand verlegen. Christian Führer hatte Angst, wie er später zugab. Am 9. Oktober 1989 kamen zum Friedensgebet Hunderte SED-Genossen und Stasi-Mitarbeiter, um ihre Macht zu demonstrieren. Führer hieß auch sie willkommen. Später sagte er: "Ich habe es immer positiv gesehen, dass die zahlreichen Stasileute Montag für Montag die Seligpreisungen der Bergpredigt hörten." Er glaubte an die Wirkung des Evangeliums.
"Zur richtigen Zeit zur Stelle"
"Ich bin niemals als politischer Mensch tätig",sagte Christian Führer einmal, "ich bin als Christ und als Mensch tätig." Nach dem Ende der DDR ist er oft gewürdigt worden, erhielt viele Auszeichnungen. Bis er 2008 in den Ruhestand ging, kümmerte er sich um Arbeitslose, kämpfte gegen Rechtsextremismus. Zur Ruhe aber setzte er sich nicht, er wollte weiter Menschen helfen. Die Nikolaikirche blieb, wie ein Schild am Eingang noch heute verkündet, "offen für alle", als Zufluchtsort und Zelle des Aufbruchs. "Lieber Christian Führer", schreibt ein Internet-Leser, "Sie waren zur rechten Zeit an der richtigen Stelle. DANKE, DANKE, DANKE !!!"